Goldstücke / Thomas Baumgärtel

Goldstücke / Thomas Baumgärtel im Industriemuseum Freudentaler Sensenhammer, Leverkusen.

Ausgerechnet Bananen –

Sie wissen schon, jene tropischen Staudenfrüchte von der Gattung Musa aus der Familie der Musaceae, länglich, leicht gekrümmt, stets gut verpackt in gelber Schale, die nach und nach schwarz wird, wenn man versäumt sie zu essen –

ausgerechnet Bananen also wurden Mitte der achtziger Jahre in Köln zur geheimen Chiffre der Kunstszene. Überall an den Kunstorten der Stadt tauchten die reifen Früchte auf, als Sprühbilder an Wänden und Fassaden; nicht lange, und der mysteriöse Bananensprayer dehnte seine Befruchtungsaktion auch auf auswärtige Kunstorte aus. Wie es dazu kam und was es damit auf sich hat, diese Geschichte deckt sich weitgehend mit der künstlerischen Biographie von Thomas Baumgärtel, der ja, wie wir natürlich inzwischen alle wissen, identisch ist mit eben jenem subversiven Bananensprayer.

Von heute an präsentiert er hier im Kunstraum des Industriemuseums Sensenhammer seine „Goldstücke“, so der Titel der Ausstellung, die einen überschaubaren, aber vielseitigen Überblick über seine jüngeren Werke gibt. Eine Reihe davon besteht in der Tat aus vergoldeten Bildern und Objekten, über und über mit kleinen Goldblättchen bedeckt wie ein mittelalterlicher Madonnenhintergrund oder ein Werk von Yves Klein. Denn auch Baumgärtel hat sich mit dieser jüngsten Werkgruppe der Goldstücke auf ganz neues Terrain begeben, vom Gelb zum Gold und von der Reife der Banane zur Reinheit des monochromen Bild-Raumes. Ein weiter Sprung, der nachvollziehbar wird, wenn man das bisherige Werk des Thomas Baumgärtel näher beleuchtet.

Alles begann in einem katholischen Krankenhaus in seinem niederrheinischen Heimatort Rheinberg, wo Baumgärtel im Alter von 23 seinen Zivildienst ableistete. Eines Tages fiel hier ein Porzellanjesus vom Kreuz, und der Zivi mußte die Scherben aufkehren. Da dauerte diesen das leere Kreuz, und weil ihm damals wie heute jede kleine Polemik gegen die katholische Kirche gerade recht ist, und da sich ferner in seiner Pausenbrotbox (ob vom Zufall oder von der Vorsehung hineingetan) auch eine Banane befand, nagelte er diese kurzerhand ans Kreuz - an des Heilands statt. Was den Ordensschwestern seinerzeit als unerhörte Blasphemie erschienen sein muß, das wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis, sich näher mit der unerhörten Wirkung zu befassen, die das Aufeinandertreffen zweier simpler Gegenstände haben kann. Und wo schon kann man solche Fusionen besser beobachten oder auch selbst herstellen, als in und mit der Kunst? So wurde die Kunst für Baumgärtel, dessen ältere Schwester übrigens Kunsthistorikerin ist, gewissermaßen zum Religionsersatz. Wegen der hohen künstlerischen Attraktivität der Domstadt zog er 1985 nach Köln und nahm sein Kunststudium an der dortigen Fachhochschule auf; später wechselte er zur Pädagogischen Hochschule. Die Banane, als Auslöser dieser beruflichen Entwicklung, ließ ihn derweil nicht los, besonders die Vergänglichkeit der Pflanzenreste sprach ihn an. Anfangs experimentierte er vor allem mit den holzig getrockneten Schalen und schuf daraus skurrile Objekte wie die Kultivierte Kleinplastik „Das Wesen der Kultur“, schlaffe, faulig verdörrte Bananenschalen in verglasten Holzkästen. Dieses Werk entstand 1988 als Auflagenobjekt anläßlich des Erscheinens seines Buches „Kunst Orte Köln“, das er zusammen mit dem leider schon lange verstorbenen Kunstvermittler Wolfgang Wangler realisierte. Baumgärtel dokumentierte darin sein bisheriges Bananenprojekt. Das Ursprungswerk, das Bananenkruzifix, hat er übrigens bis heute aufgehoben.

Die Banane wurde im Laufe der Zeit zu seinem persönlichen Symbol für die Freiheit der Kunst, die bis heute im Zentrum seiner künstlerischen Arbeit steht. Sie ist und bleibt ihr Grundantrieb. Zwar scheint die Kunst heute frei zu sein hier hierzulande, doch immer wieder muß sich der Künstler aufs Neue dafür einsetzen, ob in den Galerien und Museen oder am Markt, der Baumgärtels eigentliches Thema ist.

Aber natürlich spielte er auch mit dem schillernden Symbolkontext, in dem die Frucht steht, die ja selbst eigentlich nichts dafür kann, daß sie noch den prüdesten Spielverderber irgendwie an Sex erinnert, vor allem, wenn man ihr im ungeernteten Zustand in voller Blütenpracht auf der Plantage begegnet. Die Amerikaner kennen da so ihre einschlägigen Slangvokabeln … Josephine Baker benutzte die exotische Erotik des phallischen Obstes für ihre Bananenröckchenrevue, und die roaring twenties tanzten ausgelassen zum eingangs erwähnten Schlager. Andy Warhol adelte die Banane 1966 als Kunstmotiv, indem er sie zum Underground-Symbol machte für das Plattencoverdesign der Rock-Band Velvet Underground. In den Bananerepubliken Mittelamerikas tobten derweil die Befreiungskämpfe gegen die wirtschaftliche Abhängigkeit vom fremden Kapital. - Unter Ulbricht und Honnecker wurde die Banane zur heißbegehrten Mangelware. Als dann 1989 über Deutschland die Wende hereinbrach, wurde die Frucht zum symbolischen Zankapfel zwischen Ost und West; der Gipfel der Geschmacklosigkeit war erreicht, als saturierte Westler konsumgierige Ostler zur Begrüßung mit Bananen bombardierten.

In Köln hingegen stand die Banane seit 1986 für die Kunst, und wenn man sich durch die seinerzeit bunt florierende Galerienszene bewegte, stieß - und stößt - man auf sie, wo immer es Kunst zu sehen gibt. Die Idee der gesprühten Banane entstand übrigens während einer feuchtfröhlichen Geburtstagsfeier im Gespräch mit dem unvergessenen Ingo Kümmel.

Jede neue Kunstinstitution bekam nun ihren Bananenstempel, den Thomas Baumgärtel eigentlich als Auszeichnung verstand, ja, er hatte sogar darüber nachgedacht, ein Bananenbewertungssystem zu schaffen vergleichbar den Hotelsternen. Doch manche Galeristen und Museumsleute sahen das anders, denn rein juristisch wird das Besprühen von Häuserwänden als Sachbeschädigung gewertet. Deshalb vollbrachte Baumgärtel sein Werk meistens des Nachts, zwei Schablonen und gelbe und schwarze Sprayfarbe im Auto, angetrieben von seinem Drang nach Vollständigkeit, dabei immer auf der Hut wie ein Dieb. 1987 wurde er verhaftet, weil er eine Doppelbanane ans Museum Ludwig gesprayt hatte; heute füllen die Ordner mit den Sachbeschädigungsverfahren gegen ihn ein ganzes Regal in seinem Kölner Atelier. Einfach aber wirksam ist sie - das muß man dieser fruchtigen Provokation schon lassen. Dabei war es von Anfang an vor allem darum gegangen, sich auf eigenwilligem, den gewohnten Mechanismen widersprechendem Nebenweg in den Kunstmarkt einzumischen, der in den späten 80ern einen rasanten Aufstieg erlebte, bevor er kurze Zeit später zusammenbrach. Er ging gewissermaßen „totally bananas“.

Eine Wand im Atelier des Künstlers ist über und über mit quadratischen Bildtafeln bedeckt, die Bananen in allen Erscheinungsformen zeigen, sozusagen sein persönliches Bananenarchiv aus den Jahren seit 1986. Der Titel „Metamorphose“ deutet an, daß eine Banane sich, wenn der Künstler es so will, in alles verwandeln kann – „alles Banane“? könnte man denken angesichts dieser Birnen-, Apfel-, Mickey-, Mcdonalds-, Mercedes- und Paragraphen-Banenenversammlung. Sogar Kölns Bürgermeister Schramma oder das Hai-Maskottchen des lokalen Eishockeyvereins werden hier zu Opfern der Baumgärtelschen Bananenmutation. Eines der Bilder erinnert an eine aufsehenderregende Aktion, die Baumgärtel 1998, zum 750jährigen Domjubiläum, durchführte – wohlweislich spontan, ohne kirchliche Genehmigung, die er wahrscheinlich kaum bekommen hätte für seine 14 Meter lange Riesenbanane. Wie die Pistole eines Bankräubers schob er das monströse Objekt in das Hauptportal der Kathedrale hinein, um – wie er sagt - die Kirche in ihrer verknöcherten Sexualfeindlichkeit symbolisch mit neuem Leben zu befruchten. Und mit einer gehörigen Portion Humor, ohne die Baumgärtels Werk kaum denkbar wäre, ebenso wenig wie die Beschäftigung damit. „Wir leiben die Hohe Kirche“, nannte er seine Aktion.

Voller Ironie in Richtung Kunst und Kunstmarkt war auch sein Projekt „Leben ist echt Banane “. Hierfür übersprühte er seit 1994 bekannte und anonyme Werke der Kunstgeschichte mit seinen Bananensymbolen und vereinnahmte sie auf diesem Wege – wohl auch mit einem Augenzwinkern in Richtung Appropriation-Art, wie sie nun seit einigen Jahren zu den „hippsten“ Richtungen der aktuellen Kunst gehört.

Dennoch kann das Motto nicht lauten „bananas forever“, denn irgendwann hat jedes Motiv seinen Dienst getan. Die Abbildung auf der Einladungskarte zur heutigen Ausstellung zeigt, wie Sie gesehen haben, einen vergoldeten Computer – übrigens einen apple. Es handelt sich um den ausrangierten PC des Künstlers, in dem sich nach wie vor das digitale Ebenbild seines gesamten Bildarchivs befindet, also fast sein komplettes künstlerisches Oeuvre. Dies muß man wissen, wenn man die nur scheinbar so völlig neuartigen Arbeiten der jüngsten Phase betrachtet. Und nicht nur als Schatzkiste der eigenen Kunstentwicklung und -entfaltung, sondern mehr und mehr auch als nützliches Arbeitsinstrument dient der Computer dem Künstler; z.B. auf der Suche nach Bildvorlagen zu bestimmten, ausgefallenen Themen. So suchte er speziell für die hiesige Ausstellung nach Bildern zum ureigenen Motiv des Museums, der Sense, und stieß dabei u.a. auf das Foto zweier Sensenfrauen, die er in ein Stück weicher, farblich zurückhaltender, postimpressionistischer Malerei übertrug.

Der ursprüngliche Kontext dieser Bildvorlagen spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle; selbst im Internet wimmelt es ja neuerdings immer mehr von Bildern ohne Zusammenhang oder nachweisbare Herkunft. Diese virtuelle Realität parallel zum Chaos der „echten“ Wirklichkeit, dieses regelrechte digitale Weltall, fasziniert Baumgärtel seit neuestem immer stärker. Die verarbeiteten Bilder verlieren dabei freilich im Verlaufe des Arbeitsprozesses ihren digitalen Charakter, indem Baumgärtel sie zunächst digital zerlegt und dann in Form von Malerei, ganz klassisch mit Pinsel, Leinwand und Palette, neu wieder aufbaut.

Von Museumsleiter Eberhard Foest erhielt er einige alte rostige Sensenrohlinge – und verwandelte sie mit Hilfe von Blattgold in wahrlich goldige Sensenbananen, ebenfalls eine Reminiszenz an die ehemalige Sensenfabrik.

Die größte Freiheit aber, und um die geht es natürlich nach wie vor, erlauben ihm derzeit diejenigen der neuen goldenen Arbeiten, die aus fast monochromen vergoldeten Leinwänden bestehen, denn sie befreien ihn erstmals ganz und gar vom Zwang zur Banane. Weil er aber auch die Monochromie letztlich nicht kommentarlos hinnehmen und stehen lassen kann, schrieb er in eleganten Lettern das kleine, große Wort „Freiheit“ in eines dieser Bilder. Und dort unten am Rande - sollte dieser krumme kleine Schatten da womöglich nicht doch eine Banane andeuten? Ganz genau. Und so bekennt sich der Künstler noch hier, im Reich der neuen künstlerischen Freiheit, ironisch und im wahrsten Sinne hintergründig zu den Früchten, die ihn auf seinem langen Weg zu dieser Freiheit immer treu begleiteten – ausgerechnet Bananen.

Sabine Schütz, Eröffnungsrede am 4.9.2005 in Leverkusen

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