Texte zum Thema Deutsche Einheit

 

Deutsches Allerlei

Katalogtext von Andrea Brandl zur Ausstellung Baumgärtel/Klemm “Deutsche Einheit” im Museum Schweinfurt “Galerie Alte Reichsvogtei” vom 13. 10. 2006 – 14. 1. 2007

Man sagt „Kunstwerke sind ein Spiegel ihrer Zeit“, das trifft ganz sicher auf die Ausstellung „Deutsche Einheit“ von Thomas Baumgärtel und Harald Klemm in den Räumen der Galerie Alte Reichsvogtei zu.

Thomas Baumgärtel ist in Schweinfurt bereits ein alter Bekannter, denn er hat im Oktober 2003 besondere Aufmerksamkeit erregt, als er die Außenfassade der Galerie mit seinem Qualitätssiegel, der Spray-Banane, verzierte. Damit kann sich diese Institution für zeitgenössische Kunst jetzt in eine Auswahl von wichtigen Museen zwischen New York, Moskau oder Paris einreihen, auch ziert sie Kunstorte in Regensburg, Koblenz oder Bonn und den Eingang des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Einen ersten Kontakt zu ihm vermittelte seinerzeit freundlicherweise der heute in Karlsruhe lebende und wirkende Galerist Michael Oess. Mit der Spraybanane markiert Thomas Baumgärtel seit 1986 weltweit die für ihn interessantesten Orte der Kunst: Als sein persönliches Zeichen will er mit der Banane die allgemeine Vorstellung von dem, was Kunst ist, aber auch in Frage stellen.

Thomas Baumgärtel und Harald Klemm arbeiten seit 1999 gemeinschaftlich an dem Thema „Deutsche Einheit“. Beide Künstler haben eigene und persönliche Beweggründe, sich mit der Wiedervereinigung und der ersten friedlichen Revolution in der deutschen Geschichte auseinander zu setzen. Für sie ist weiterhin eine der Hauptfragen, inwiefern die „Deutsche Einheit“ vollzogen ist - da auch aktuelle Beispiele zeigen, dass Ost und West politisch immer noch unterschiedlich behandelt werden. Für Thomas Baumgärtel ist ein zentrales Medium seiner Arbeit - die Banane - zugleich eines der wichtigsten Symbole der Wiedervereinigung. Er beschäftigte sich bereits im Rahmen seines Psychologiestudiums mit den seelisch-gesellschaftlichen Problemen, die bei einer deutschen Einheitsbildung auftreten. Diese psychologische Sichtweise floss schon immer in seine Arbeiten zu diesem Thema mit ein. Harald Klemm, der Geschichte und Philosophie in Aachen studierte, hat durch seine Familiengeschichte einen sehr persönlichen Zugang zur Wiedervereinigung, da Teile seiner Familie durch die Mauer voneinander getrennt waren. Politische Themen wie Flucht und Vertreibung oder die 1960er Jahre in Westdeutschland sind immer wiederkehrende Motive in seinem Werk.
Das gemeinschaftliche Arbeiten im Bereich der Bildenden Kunst hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition. Denken wir beispielsweise an die gotischen Bildhauer, deren Werke anschließend noch durch die Hand eines sog. Faßmalers gingen, der diese farbig zu „fassen“, d.h. zu bemalen und zu vergolden hatte. Erst dann war das Kunstwerk vollendet. Beispiele hierfür gibt es ebenso in der Malerei des 19. Jahrhunderts etwa bei den Künstlerkollegen Johann Sperl und Wilhelm Leibl, die tatsächlich an Bildern gemeinsam gemalt und sie signiert haben, wie beim „Bauernjäger“ (1894) im Museum Georg Schäfer. Diese Kollaboration war als sichtbares Freundschaftsdokument gedacht, und auch unter diesem Aspekt sind die Kunstwerke von Thomas Baumgärtel und Harald Klemm zu verstehen.

Der Leiter der Städtischen Galerie Sindelfingen Otto Pannewitz sieht diese Gemeinschaftsarbeit in ihren Verzahnungen und Überlagerungen als „Kaleidoskop der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Sein treffender Vergleich ist als Metapher im doppelten Sinn zu verstehen. Zum einen die Arbeitsweise der Künstlerkollegen betreffend, indem das Bildmotiv aus einem Stimmungsgeflecht von verfremdender Reduktion des Motivs und rein malerischen Akzenten in wechselndem Rhythmus durchaus über einen längeren Zeitraum heraus entwickelt wird, zum anderen durch die Thematik der Bilder selbst. Ihre gemeinsame Arbeit am Projekt „Deutsche Einheit“ ist wie Salz und Pfeffer in einer Speise, die ohne diese Gewürze nicht schmecken würde.

Die Bilder und Objekte zu diesem Thema sind dabei nicht immer eindeutig, sondern gewinnen ihren unnachahmlichen Scharm auch aus der Zweideutigkeit ihrer Aussage, die mit einer ordentlichen Portion Humor „gewürzt“ ist. So wird das Wahrzeichen Berlins und offizielles Symbol der deutschen Einheit mit der gelben Frucht als – nach Baumgärtels Meinung – dem eigentlichen Symbol der Wiedervereinigung verbunden und persifliert auf diese Weise die sog. „Bananenrepublik“. Durch die historisch-politischen Bezüge der dargestellten und zugleich auch wieder malerisch verunklärten Motive, etwa die Portraits der aktuell amtierenden Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel oder des Altbundeskanzlers Dr. Helmut Kohl, das Brandenburger Tor, der Mauerfall oder ein Trabi, werden in uns Erinnerungsbilder aufgerufen, die uns aus der eigenen Sicht geläufig sind, weil sie auch Teile unserer Geschichte und Erlebniswelt reflektieren.

Auch Schweinfurt ist von dieser besonderen Lage im Nordens Bayerns im sog. Zonenrandgebiet betroffen gewesen. Die Öffnung dieser künstlichen Grenze im November 1989 hat vielschichtigste Auswirkungen gehabt. Es fand umgehend ein kultureller Austausch statt, sei es mit uns und der Kunsthalle Erfurt oder dem Schloss Elisabethenburg in Meiningen, Schweinfurter besuchten wieder das bekannte Meininger Theater, und zahlreiche ortsansässige Firmen gründeten Filialen in den neuen Bundesländern. Für manche hätte diese Entwicklung allerdings auch fast die Existenz gekostet. Heute fährt man mal schnell nach Erfurt oder Weimar, wie früher nach Nürnberg oder Frankfurt. Die „Deutsche Einheit“ ist auch hier längst vollzogen, oder? Das zu hinterfragen, ist das Anliegen der zwei innovativen Künstler.

Die Werkschau in Schweinfurt will gleichzeitig der Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen von Thomas Baumgärtel und Harald Klemm Rechnung tragen, in dem die in Köln lebenden Künstler die Galerie in verschiedenen Bereichen inszenieren: An der Außenfassade lädt eine breite DDR-Fahne zum Besuch der Ausstellung im Innern ebenso ein, wie ein originaler, türkisleuchtender und von beiden mit einer Vielzahl von Chiffren symbolhaft überarbeiteter Trabi im Foyer. Im ersten Stock sind dann neben Gemälden, an die sie gemeinsam Hand anlegen, auch Einzelwerke der beiden zu sehen, sowie im Wintergarten die Videoinstallation „BRD-DDR“. Eine extra für Schweinfurt gefertigte Sonderedition gibt der Werkschau noch einen lokalen Akzent und unterstreicht ihr Bemühen, allenorts durch kritisches wie humorvolles Hinterfragen dem politischen Geschehen mit ihren Arbeiten einen Spiegel vor Augen zu halten.

Andrea Brandl M.A., Museen und Galerien der Stadt Schweinfurt, September 2006

 
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