Jahrelang war er einfach der „Bananensprayer“ und nur Insider wußten, wer sich letztendlich dahinter verbarg. Vor Jahren wäre es gefährlich gewesen, die Identität preiszugeben, denn angesichts seiner weltweiten Sprayertätigkeiten hätte er sich vor Prozessen nicht mehr retten können. Dennoch füllen die Verfahren, die man ihm anhängte, mehrere Aktenordner. Vor etwa zehn Jahren hatte Thomas Baumgärtel begonnen, eine Banane neben die Eingänge von Orten zu sprühen, in denen Kunst gezeigt wurde. Zunächst wurde dies als Sachbeschädigung angesehen, die Bananen wurden meist entfernt. Für Thomas Baumgärtel hieß die Gleichung ganz einfach Kunst=Banane, und er setzte sein Treiben unberührt fort, in der festen Überzeugung, daß sie sich auf die Dauer durchsetzen würde. Bis heute hat sie sich in der Tat immer mehr verbreitet, ist in Köln und Düsseldorf, in Frankfurt, Berlin, Paris, London und New York an Galerien und Museen zu finden, und so manche Newcomer Galerie ist mittlerweile besorgt, wenn dies Markenzeichen für seriöse Kunst nicht bald am Haus zu finden ist. Thomas Baumgärtels Idee hat sich durchgesetzt. Kunst ist Leben, Leben ist Banane, Banane ist Kunst. Die Banane ist die Essenz der Baumgärtelschen Philosophie. In ihr spiegelt sich aus seiner Sicht Weltgeschehen und Geschichte. Thomas Baumgärtel schafft die Welt neu aus Bananen. Sie hängt als Leichnam am Kreuz und türmt sich zur großen Form; sie fordert Fluxus-Kunst zum Dialog auf und schleicht sich in alte und neue Bilder hinein. Vor allem hier, in der Übermalung alter Ölbilder stellt Thomas Baumgärtel die unausgesprochene Behauptung auf, daß er keineswegs der Erfinder der Kunst-Banane ist.- Ganz im Sinne jener alten Aussage der Dadaisten: „Bevor Dada da war war Dada da“. Baumgärtels Übermalungen belegen: schon um die Jahrhundertwende trugen alte Bergbauernhöfe jenes damals so rätselhafte Signet, und Landschaftsbilder jener Zeit pflegten Bananen als Repoussoir zu verwenden. So belegen es Baumgärtels alte Meister. Quot erat demonstrandum. Und wer erinnert sich nicht mit einer gewissen Schadenfreude an Wolf Vostell bananengeschmückten „Ruhenden Verkehr“? Da forderte ein junger Dadaist einen älteren heraus und wollte wissen, ob der sein provokantes Aktionsrelikt aus Fluxuszeiten heute so richtig ernst nimmt und es als unberührbares, unveränderbares Kunstwerk ansieht, oder ob er die Wechselfälle des Lebens, mit denen die Fluxusbewegung jener Jahre immerhin gerne spielte, hinnehmen und akzeptierte werde. Wie wir wissen, bestand er auf Restaurierung. Dabei hätte die Banane doch qua definitionem lediglich nachträglich unverbrüchlich festgestellt, daß es sich hier um Kunst handelt. Auch die meist immer noch verständnislosen Passanten hätten es danach endgültig gewußt. Thomas Baumgärtel ging es dabei um den Dialog zweier Kunstkonzepte, deren Wirkungsprinzipien je für ihre Zeit verschieden, aber dennoch strukturell verwandt sind. Wolf Vostells Ablehnung war dabei ein genau so gutes Ergebnis, wie es seine Zustimmung gewesen wäre. Die Banane hat einmal mehr den Kunstbegriff herausgefordert und Klarheit geschaffen. In diesem Sinne wirkt sie in Thomas Baumgärtels Kunstvorstellung erhellend für die Wahrnehmung von Wirklichkeit.
Was die wenigsten, die die gesprühte Banane allerorten sehen, wissen, ist Thomas Baumgärtels weitergehende künstlerische Arbeit, die noch mehr, als das Bananensignet belegt, wie sehr die Banane für Thomas Baumgärtel zum Prinzip künstlerische Wahrnehmung wurde. Da gibt es nicht nur den Bananenwohnwagen, den Bananenfernseher, die Bananencouch und den Bananenstuhl, die Banane schleicht sich auch in den Sternenkreis des europäischen Banners oder präsentiert sich als große skulpturale Form. Am deutlichsten wird Baumgärtels Weltanschauung jedoch in seinen jüngsten Bildern, in denen er eine kleine gesprühte Banane gleichsam als Rasterpunkte verwendet, mit dem er seine Bilder alltäglicher Gegenstände, vom Wasserhahn bis zum weiblichen Akt aufbaut. Auch der Kölner Dom und ein großes Köln-Panorama bauen sich aus Hunderten und Tausenden von dicht nebeneinander und übereinander geschichteten Bananenformen auf. Die Welt, gesehen in Form von Bananen; hier ist der Beweis endgültig erbracht: Leben ist Banane. Thomas Baumgärtel hat seine dadaistische Aktion inzwischen weiterentwickelt zur Weltanschauung, zum künstlerischen Konzept. Was ursprünglich Behauptung war, die Banane sei Kunst, was weltweit selbst von Museumsleuten und Galeristen akzeptiert wurde, indem sich die Banane zum begehrten Signet und Qualitätssiegel mauserte, setzte Thomas Baumgärtel inszwischen in seinen Leinwandbildern konsequent um: Bei ihm formt sich Welt aus Bananen, ist die Banane Weltanschauung und Kunstanschauung zugleich.
Rheinhold Mißelbeck, Museum Ludwig Köln, 1996