Katalogtext von Stephan Grünewald
Thomas Baumgärtel – die befriedigende Fruchtbarkeit der Kunst
Text im Wienand-Katalog „Thomas Baumgärtel 2008 - 2018"
Welch anderer Künstler wird so stark mit einer Frucht verbunden wie Thomas Baumgärtel mit der Banane? Als Bananensprayer ist er in den letzten 30 Jahren weit über die Grenzen der – von ihm einmal so titulierten – deutschen Bananenrepublik bekannt geworden.
Künstler und Banane? Das klingt vordergründig banal und alles andere als hoch entwickelt. Was soll auch diese einfache Frucht mit Kunst zu tun haben? Hintergründig betrachtet weisen Kunst und Frucht beziehungsweise Banane jedoch innige Wirkungsanalogien auf. Das deutet sich bereits in der paradiesischen Urgeschichte der Menschheit an. Der Apfel als verbotene Frucht verweist auf den Baum der Erkenntnis und damit die Eröffnung der menschlichen Freiheit jenseits der engen und nackten Paradiesbegrenzungen. Der Preis der Freiheit ist aber die Schicksalsgeworfenheit des Menschen, die wiederum ohne die lichtvollen Tröstungen und Anstachelungen der Kunst nur schwer zu ertragen wäre.
Schon in der Frühzeit war fortan die Fruchtbetrachtung eine Vorform der Kunstbetrachtung. Das begründet sich in einem animistischen Zug, der der Fruchtbetrachtung innewohnt. Die Gestalt-Logik einer Frucht wird unbewusst als Ausdruck ihres Wesens und ihrer Wirkkraft erlebt. Das zeigt eindrücklich eine rheingold-Studie über die Psychologie der Früchte, die wir vor einigen Jahren durchgeführt haben. Die Trauben gelten zum Beispiel als recht gesellig, weil sie so eng aufeinanderhocken. Wir sprechen daher auch bei einer dichten Versammlung von einer Menschentraube. Und die Wirkkraft der Traube fördert als Wein ebendiese Geselligkeit. Die Kirsche wiederum verheißt durch ihre herzige Form und ihre lustvoll fleischige Konsistenz Leidenschaft oder Verführung. Die Kirsche in Nachbars Garten ist als Ausdruck der Versuchung das diametrale Gegenteil zur Kirche im Dorf. Die Birne hingegen sieht aus wie ein weiblicher Torso. Ihre weiche Nahrhaftigkeit verleiht ihr eine versorgende Mütterlichkeit. Helmut Kohl, der stets als Birne bezeichnet wurde, ist so eine Vorform von Mutter Merkel.
Die Banane schließlich ist in ihrer Wirkung und Wesensart die vielgestaltigste Frucht. Hält man sie horizontal vor den Mund, entsteht ein Smiley – lächelnd und rundum zufrieden. Schiebt man sie in den Mund, so mutet sie wie ein Phallus an. Sie strahlt eine sinnlich- penetrante Durchsetzungskraft aus, die dann 1989 zum inoffiziellen Sinn- oder Lustbild des ostdeutschen Volksaufstands wurde. Diese penetrierende Penetranz kennzeichnete auch die frühen Phasen von
Thomas Baumgärtel, in denen er rüde an allen möglichen Kunstorten zwar nicht das Bein hob, aber die Spraydose zückte und einen Bananengruß hinterließ. In diesen markierenden Akten manifestierte sich sicherlich auch der Anspruch des jungen Künstlers, eine Art Gruß- Inquisitor der weltweiten Kunstgemeinde zu werden.
Die Vielgestaltigkeit der Banane verweist darauf, dass sie universelle Verhältnisse und Kräfte spiegelt und ebenso wie die Kunst keine eindimensionale Auslegbarkeit erlaubt. Die Banane ist hart und weich, gradlinig und gebogen, fremd und vertraut, exotisch und heimatlich, kräftig und sanft. Ihre Bandbreite macht sie zu einer Art Urfrucht, die die Antipoden des Obstuniversums in sich vereint. Die Banane bündelt die beiden grundsätzlichen Wirkkomplexe Befruchtung und Befriedigung, die mit Früchten verbunden und auch für die Kunst relevant sind.
Auf der einen Seite werden Früchten befruchtende Wirkkräfte zugeschrieben: Ihr Genuss macht aktiver und lebendiger, denn ihre Frische und Sonnenkraft geht auf die Menschen über. Vor allem die Banane gilt als energiegeladene Sportlerfrucht. Die Farbpalette der Früchte macht uns froh und gut gelaunt. Und die Saftigkeit nicht nur der jungen Früchtchen verspricht, uns jünger und praller zu machen und unsere Leidenschaft zu wecken. Aufbau, Wachstum und Verlebendigung sind somit zentrale Funktionen, die Früchte, aber auch die Kunst erfüllen sollen. Die Kunst hat nämlich ebenfalls eine verlebendigende Kraft, denn sie bricht mit dem faulen Zauber der etablierten Sichtweisen. Die Kunst fördert in ihren Kompositionen den Aufbau neuer Welten und Verständnishorizonte. Der aufstörende Genuss der Kunst, vor allem die Auseinandersetzung und Reibung mit ihr, bereiten den Boden für individuelles und kollektives Wachstum.
Auf der anderen Seite verbindet man mit Früchten befriedigende Wirkungen. Früchte versprechen nährende Versorgung und Besänftigung. Durch ihren Verzehr fühlen wir uns in den Kreislauf der Natur eingebunden und mit unserer eigenen Natur und Vergänglichkeit ausgesöhnt. Denn die Früchte veranschaulichen unseren eigenen Lebenszyklus von der zarten Jugendblüte, über die Reife und Überreife bis zur Kompostierbarkeit. Vor allem die Banane spiegelt uns diesen Werdegang: Anfangs ist sie noch grün hinter dem Stiel, dann goldgelb und schließlich erdig-schwarz. Mit ihrem Lebenszyklus sind auch unterschiedliche Wirkqualitäten verbunden. Von der sinnlichen Verführung, über die frugale Versorgung, bis hin zum reifen und sanften Trost. Wirkqualitäten, die auch dem Kunstgenuss innewohnen, dessen Charakter sich im Laufe unseres Lebens stetig wandelt.
Für einen Künstler wie Thomas Baumgärtel bleibt es eine lebenslange Aufgabe, die beiden Kunstpole Befruchtung und Befriedigung
miteinander auszusöhnen. Setzt er, wie in den wilden Anfangsjahren, zu sehr auf penetrante Befruchtung, dann ist seine Kunst zwar vital, bissig, kämpferisch und zum Teil sauer aufstoßend. Sie droht aber zu einer schweren Kost oder sauren Pflicht zu werden, die den Menschen weder einnimmt noch sinnlich ausfüllt.
Setzt er allerdings, von reifer Altersmilde heimgesucht, zu sehr auf Befriedigung, dann werden seine Kunst und seine Bananen zum banalen Versorgungsobst: weich, einfach und leicht sättigend. Mundgerecht, aber dadurch ohne Kern und Stiel, appetitlich und bevormundend, weil nichts mehr zur Auseinandersetzung und zum Durchkauen reizt.
Die Synthese aus Befruchtung und Befriedigung gelingt ihm vor allem in seinen Bananenstielbildern, die er seit 2012 anfertigt und in seinem jüngsten Zyklus der Brückenbilder. In den Bananenstielbildern entwickelt er gleichsam eine Sti(e)listik, die an impressionistische und pointillistische Malerei erinnert. Seine Porträts, Landschaften und Bauwerke setzen sich aus Tausenden von einzeln gesprühten Bananenstielen zusammen. Das verleiht ihnen eine sinnlich befriedigende, farbige Verführungskraft, die allerdings im nächsten Moment auch wieder ihre Opulenz entlarvt und auf ihr Hergestelltsein verweist. Der Betrachter bleibt dadurch in einem Schwebezustand: Will das Bild besänftigen oder anstacheln? Finden wir hier basalen Trost oder banalen Trotz?
Diese Auslegbarkeit der Bilder erinnert mich an einen Psychologenstreit, der am Kölner Psychologischen Institut während Baumgärtels Studienzeit in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zwischen den Professoren Wilhelm Salber und Friedrich Wolfram Heubach ausgetragen wurde. Salber betonte, dass uns die Kunstrezeption im besten Falle eine Konstruktionserfahrung vermittle. In der Auseinandersetzung mit Kunstwerken verspürten wir etwas von der geheimen Konstruktion unseres Seins und den Paradoxien des Lebens. Dadurch tendierte Salber eher zur Befruchtungsfraktion, die die anstachelnde und aufstörende Erkenntnisfunktion der Kunst postulierte. Heubach hingegen vertrat die Befriedigungsfraktion. Er entgegnete, dass uns die Kunst kunstvoll über alle Konstruktionsnotwendigkeiten des Seins hinwegtäusche. Sie spende gerade durch ihre virtuosen Täuschungsmanöver Trost und Lebensfreude. Wir gingen ihr auf den Leim und kämen uns eben nicht auf die Schliche.
Baumgärtels jüngste Serie der Brückenbilder hat sich scheinbar stilistisch am weitesten von der Banane wegentwickelt. Wir sehen graue, massive Stahl- oder Betonkonstruktionen, die auf abblätternden Plakatwänden aufgesprüht wurden. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Brücken versteinerte Bananen sind. Sie trotzen der
Vergänglichkeit und versprechen – wie die Kunst – tragfähige Übergänge. Die Brücke lädt ein zum Austausch und zum Perspektivwechsel. Sie verbindet die eine Seite mit der anderen. Gerade in der heutigen Zeit der hermetischen Echoräume, des mentalen Inzests und der gedanklichen Vereinseitigung sind sie Sinnbilder dafür, dass eine Gesellschaft im Gespräch bleiben und Übergänge riskieren sollte. Aber auch die steinernen oder stählernen Brückenmonumente verweisen auf die natürliche Vergänglichkeit, die der Banane innewohnt. Die abblätternden und sich wie bei einer Banane abschälenden Schichten der im Laufe der Zeit immer wieder überklebten Plakate verweisen auf die Geschichtlichkeit und Endlichkeit all unserer Werke. Unsere Übergänge ereignen sich nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit. Und das ist traurig und tröstlich zugleich.
Stephan Grünewald
Thomas Baumgärtel – The Gratifying Fruitfulness
Text in the Wienand catalog “Thomas Baumgärtel 2008 - 2018
Which other artist is so strongly associated with a fruit as Thomas Baumgärtel is with the banana? As the Banana Sprayer, he has become well-known over the course of the last thirty years – and this far beyond the borders of the ‘Banana Republic of Germany, which he once so dubbed.
Artist and banana? This sounds superficially banal and anything but highly developed. For what does this simple fruit have to do with art? Art and fruit – including bananas – do, however, reveal intimate analogies. This already suggests itself in the paradisiacal prehistory of humankind. The apple as a forbidden fruit refers to the tree of knowledge and thus to the opening of human freedom beyond the narrow and naked boundaries of Paradise. The price of freedom, however, is humankinds subjection to destiny, which in turn would be difficult to endure without the enlightened consolations and incitements of art.
Even in the protohistoric period, the observation of fruit became a prelude to the observation of art. This is based on an animistic trait inherent in the observation of fruit. The logic of the form of a fruit is unconsciously experienced as an expression of its essence and its effective force. This is impressively demonstrated by a rheingold study on the psychology of fruits, which we conducted several years ago. Grapes, for example, are considered to be quite sociable because they hang so closely together. This is why we speak of a ‘bunch of people at a dense gathering. And the effective force of grapes in the form of wine promotes this conviviality. In contrast, the cherry promises passion or seduction through its heart-like shape and its pleasurably fleshy consistency. As an expression of temptation, the cherry in the neighbours garden is the diametrical opposite of the village church. The pear, in turn, is reminiscent of a female torso. Its soft nutritiousness lends it a sense of nurturing maternity. Helmut Kohl, who was often called a pear, is thus a pre-form of ‘Mother Merkel.
The banana, finally, is the most diverse fruit in terms of its effect and nature. If you hold it horizontally in front of your mouth, you get a smiley – happy and completely satisfied. If you put it in your mouth, it is reminiscent of a phallus. It exudes a sensual, penetrating assertiveness, which then became the unofficial symbol or image of desire during the popular uprising in East Germany in 1989. This penetrating obtrusiveness also characterised the early phases of Thomas Baumgärtel, during which, although he did not go so far as to rudely lift
his leg at all possible art venues, he did indeed pull out the spray can and leave a banana greeting. The aspiration of the young artist to become a kind of greeting inquisitor of the worldwide art community certainly manifested itself in these marking actions.
The diversity of the banana refers to the fact that it reflects universal relationships and forces and, like art, does not allow for one-dimensional interpretability. The banana is hard and soft, straight-lined and curved, strange and familiar, exotic and homely, strong and gentle. Its range makes it a kind of primordial fruit that unites the antipodes of the fruit universe. The banana combines the two basic complexes of fertilisation and gratification, which are associated with fruits and are also relevant to art.
On the one hand, fruit is said to have fructifying effects: Their enjoyment makes them more active and livelier, because their freshness and solar power are passed on to humans. The banana in particular is considered to be an energetic sports fruit. The colour palette of the fruit makes us happy, puts us in a good mood. And the juiciness not only of the young fruit promises to make us younger and fuller and to awaken our passion. Structure, growth and revitalisation are therefore central functions that fruit, but also art, should fulfil. For art also has a vitalizing power, since it breaks with the lazy magic of established points of view. In its compositions, art promotes the construction of new worlds and horizons of understanding. The disturbing enjoyment of art, above all the confrontation and friction with it, prepare the ground for individual and collective growth.
On the other hand, fruits are associated with gratifying effects. Fruits promise nourishing care and appeasement. Through their consumption, we feel integrated into the cycle of nature and reconciled with our own nature and impermanence – for fruits illustrate our own life cycle, from the tender blossom of youth via ripeness and over-ripeness to compostability. The banana, in particular, reflects this development: At first, it is still green behind the stalk, then golden yellow and finally earthy-black. Various qualities of effect are also associated with its life cycle – from sensual seduction via frugal care to mature and gentle comfort. Qualities of effect that are also inherent to the enjoyment of art, the character of which constantly changes throughout the course of our lives.
For an artist like Thomas Baumgärtel, it remains a lifelong task to reconcile the two art poles of fertilisation and gratification. When, as in the wild early years, he places too much emphasis on obtrusive fertilisation, his art becomes vital, biting, aggressive and to some extent
acidic – but it also threatens to become difficult to digest or an unpleasant duty that neither captivates nor sensually fulfils the audience. When, however, afflicted by the mildness of age, he places too much attention on gratification, then his art and his bananas become banal everyday fruits: soft, simple and mildly satiating. Bite-sized, but without a pit or a stem, appetising and patronising, since there is nothing left to gnaw on or to stimulate discussion.
Baumgärtels synthesis of fertilisation and gratification is particularly evident in his Bananenstielbilder (Banana-Stem Paintings), which he has been producing since 2012, as well as in his most recent series of Brückenbilder (Bridge Paintings). In the Bananenstielbilder, he develops a style reminiscent of Impressionist and Pointillist painting. His portraits, landscapes and buildings are composed of thousands of individually sprayed banana stems. This gives them a sensually gratifying, colourful power of seduction, which, however, in the next moment, also reveals their opulence and refers to their constructedness. The viewer thus remains in a state of suspense: Does the painting want to appease or incite? Do we find here basal consolation or banal defiance?
This interpretability of the images reminds me of a dispute among psychologists carried out at the Institute of Psychology in Cologne between the professors Wilhelm Salber and Friedrich Wolfram Heubach during Baumgärtels studies there in the second half of the 1980s. Salber emphasised that, in the best case, the reception of art gives us an experience of construction. In the examination of works of art, he argued, we feel something of the secret construction of our being and the paradoxes of life. As a result, Salber tended towards the fertilisation fraction, which postulated the inciting and disturbing cognitive function of art. Heubach, on the other hand, represented the gratification fraction. He replied that art ingeniously deceives us with regard to the constructional necessities of being. It gives comfort and joie de vivre precisely through its virtuoso swindle. We get on its nerves – and do not get to the bottom of it.
Baumgärtels most recent series of Brückenbilder seems to have developed stylistically farthest away from the banana. We see grey, massive steel or concrete constructions sprayed onto peeling billboards. On closer inspection, however, it becomes clear that the bridges are petrified bananas. They defy transience and – like art – promise viable transitions. The bridge invites exchange, as well as a change of perspective. It connects one side with the other. Especially in todays age of hermetic echo chambers, mental incest and intellectual one- sidedness, they are symbols for the fact that a society should remain in dialogue and risk transitions.
But the stone or steel bridge monuments also refer to the natural transience inherent in the banana. The various layers of the posters, glued over and over again over the course of time and then peeled away like a banana, refer to the historicity and finiteness of all our achievements. Our transitions occur not only in space, but also in time. And this is both sad and comforting at the same time.
Art Stephan Grünewald