Geschichte und Geschichten
Text im Wienand-Katalog „Thomas Baumgärtel 2008 - 2018"
Die Kunsthalle Schweinfurt kann 2019 ihr 10-jähriges Jubiläum begehen, und Thomas Baumgärtel ist als wichtiger zeitgenössischer Künstler Teil dieses bunten Veranstaltungsreigens. Unsere gemeinsamen Anfänge liegen lange zurück, genauer gesagt nunmehr 16 Jahre. Bereits im Oktober 2003 hat er auf Vermittlung des Karlsruher Galeristen Michael Oess die altehrwürdige Galerie für zeitgenössisches Kunstschaffen in Franken in der Alten Reichsvogtei mit seinem unverkennbaren Markenzeichen, der Spraybanane, ausgezeichnet. Manch einer in Schweinfurt mag sich über diese ungewöhnliche Kunstaktion die Augen gerieben haben; die verantwortlichen Kuratoren, Dr. Erich Schneider und die Autorin, waren jedenfalls mächtig stolz, dass der bekannte Rheinländer nun auch ihre kleine Galerie neben weltweit renommierten Häusern zwischen New York, Paris und Moskau ins Visier genommen hatte. Inzwischen sind es rund 4000 derart gekennzeichnete Kunstorte. Daraus entwickelte sich eine seit Jahren bestehende fruchtbare und freundschaftliche Alliance. Es folgten eine Ausstellung gemeinsam mit Harald Klemm zum Thema „Deutsche Einheit“ 2006/07 und die Teilnahme des Künstlerduos an der im Mai 2009 stattgefundenen Eröffnung der Kunsthalle Schweinfurt im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad zum geschichtsträchtigen Ereignis des 20-jährigen Mauerfalls. Unvergesslich wird auch die Sprayaktion am Portal des historischen Gebäudes am 3. Oktober 2009 bleiben, an dem Tag, als Thomas Baumgärtel in Anwesenheit des damaligen unterfränkischen Regierungspräsidenten Dr. Paul Beinhofer und Oberbürgermeisterin a. D. Gudrun Grieser bei gefährlich aufflackerndem Wind zusätzlich das neu geschaffene Domizil für deutsche Kunst mit seinem schon von Weitem sichtbaren Signet bedachte. Dies weckte daraufhin den Wunsch, die historische, in fahlem Grau gehaltene Kassettentür im Gleichklang mit der Banane in ein strahlendes Gelb umlackieren zu lassen.
Die besondere Lage von Schweinfurt im Norden Bayerns, die Nähe zu Thüringen und die daraus resultierende Situierung im Schatten der Grenze hat die Entwicklung der Stadt und des Museums in den letzten drei Jahrzehnten
beeinflusst. So musste sich das Sammlungsprofil der Kunsthalle Schweinfurt zwischen Abstraktion und Figuration konsequenterweise in den letzten zehn Jahren mit Blick auf geschichtliche Ereignisse weiterentwickeln. Es fällt dabei auf, dass sich die in der städtischen Sammlung vertretenen Künstlerinnen und Künstler seit den späten 1950er-Jahren bis heute mit der Rolle des Individuums in der Gesellschaft dies- und jenseits der ehemaligen Grenze auseinandersetzten und - setzen. Diese Kunstäußerungen sind also immer auch politischer Natur. Obwohl die Wurzeln des Museums anfangs im regionalen Kunstschaffen lagen, ist das Haus gleichzeitig der Beweis, dass sich Kultur und Kunst nicht nur in den großen Städten der Bundesrepublik abspielen, sondern ebenso in der „Provinz“ Entwicklungspotenzial haben.
Ein konzeptioneller Ansatz der Sammeltätigkeit war schon seit dem Beginn in den 1980er-Jahren, den Fokus auf süddeutsche Künstlergruppen zu richten, beispielsweise SPUR. Besonders die Künstler Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer standen im Nachkriegsdeutschland vehement für aufklärerische Emanzipationsbewegungen und gesellschaftskritisches Aufbegehren in der Adenauer-Ära. 1958 in München gegründet, vertraten diese „jungen Wilden“ unter dem Einfluss von CoBrA und lokalen Traditionen wie dem bayerischen Barock eine figurativ-expressive Formensprache mit großem Farbpotenzial. SPUR opponierte mit aggressiven und ironischen Bildern im Stil der Art Brut und proklamierte in sogenannten Manifesten ihre Ziele: „Ein kultureller Putsch – während Ihr schlaft!“ (1959) war nur einer ihrer provozierenden Schlachtrufe, mit denen sie sich leidenschaftlich gegen den Staat, die Politik, die Kirche, die florierende Wirtschaft und das Militär wandten. Der Konflikt mit dem Rechtsstaat blieb folglich nicht aus.
Neben einigen durch ihre Biografie mit Franken verbundenen und sich politisch und gesellschaftskritisch äußernden Künstlern – namentlich seien in diesem Zusammenhang Robert Höfling, Erich Husemann, Richard Mühlemeier oder
G. Hubert Neidhart zu nennen – sind es vor allem Kunstschaffende aus der ehemaligen DDR, die spätestens seit der Ausstellung 2009 konsequent für die städtische Sammlung erworben werden konnten: Hartwig Ebersbach, Udo Eisenacher, Michael Morgner und die Gruppe Clara Mosch, Manfred Paul, Stefan Plenkers, Volker Stelzmann und Hans Ticha. Neben dem Würzburger Museum am
Dom verfügt die Kunsthalle Schweinfurt damit über Kernbestände von Kunst aus der ehemaligen DDR, die in dieser Konzentration ihresgleichen sucht.
Mehr als manch anderer deutscher Künstler hat sich Thomas Baumgärtel der grundsätzlichen Frage verschrieben, inwiefern die Deutsche Einheit tatsächlich vollzogen ist. Mit Blick auf die Dauerpräsentationen in renommierten deutschen Museen hat diese kritische Überlegung durchaus ihre Berechtigung, findet man doch landauf, landab bis heute nur bedingt Künstler aus dem Osten. Aber gerade dieser Ost-West-Dialog lässt sich in den Beständen der Schweinfurter Sammlung spannend nachvollziehen und wird in der Neupräsentation zum 10-jährigen Bestehen breiten Raum einnehmen. Selbstverständlich spielen auch Thomas Baumgärtel und Harald Klemm dort eine entscheidende Rolle. Die Banane steht schlechthin als Metapher für die Wiedervereinigung und die Geschichte der Bundesrepublik Thomas Baumgärtel entwarf zur Wiedervereinigung die „Vereinigungsbanane“. Der kreative Feingeist Thomas Baumgärtel fordert ein, nur Kunst könne die Republik noch retten. Als überzeugter Rheinländer entwarf er für den Kölner Rosenmontagszug 2010 einen elf Meter langen Karnevalswagen . Dabei konterkariert er die monumentale Frucht mit dem maroden Brandenburger Tor, das nur dank der Banane vorm Einsturz bewahrt wird, denn die kannelierten Säulen zeigen bereits auffällige Risse und der Architrav ist durchgebrochen. Folgerichtig und mit einem gewissen Augenzwinkern mahnt die Hauptfigur der amerikanischen Comicserien „Peanuts“, der nachdenkliche und ewige Verlierer Charlie Brown 2015 auf einer mit Spraylack überarbeiteten deutschen Sommeridylle an: „Grenzen weg!“.
Thomas Baumgärtels geistreiches Repertoire ließe sich durchaus mit dem berühmten Utensil der mythologischen Pandora vergleichen. Die neugierige Pandora öffnete ihre Büchse und ließ damit alle Plagen, die sich darin befanden, auf die Menschheit los. Bevor die Hoffnung, die einzige positive Gabe, welche sich ganz unten in der Büchse befand, entweichen konnte, verschloss sie diese bereits wieder. Handeln bedeutet also gleichzeitig, das Schicksal heraufzubeschwören.
„Glaub doch, was du willst!“, fordert Thomas Baumgärtel nachdrücklich bei der Auseinandersetzung mit Religion im Allgemeinen und der katholischen Kirche im Besonderen ein. „Mit der Banane kämpft der bekannteste Sprayer Deutschlands seit 30 Jahren für die Freiheit der Kunst und die Glaubensfreiheit“. Was mit der Kreuzigung einer Banane im Anklang an die Kunstform Arte povera während seiner Zivildienstzeit in einem katholischen Krankenhaus am Niederrhein begann, gipfelte 1998 in der subversiven und lange geplanten Kunstaktion Wir lieben die Hohe Kirche mit einer gigantischen auffaltbaren Banane für das Hauptportal des Kölner Doms anlässlich des 750-jährigen Domjubiläums. Die gelbe überdimensionale Frucht drohte die Portalanlage zu sprengen, das Happening fand ebenso schnell wie vorbereitet ein jähes Ende. Dabei geht es dem Künstler gar nicht um ein provokantes Infragestellen von Religion an sich, sondern vielmehr um das kritische Hinterfragen der Institution Kirche, die er, wie andere Weltreligionen auch, an ihrem Dogmatismus bemisst. Baumgärtel plädiert für die Freiheit der Kunst ebenso wie für die Freiheit der Religion.
Infolge des Terroranschlags vom 11. September 2001 in New York hatte Baumgärtel wiederum die Idee zu einer Friedensbanane, die er unerlaubt an elf Kirchen in Köln sprühte – wobei er für den Kölner Dom wasserlösliche Pastellkreiden verwendete . Als mahnendes Zeichen war die Friedensbanane an einem Portal von Sankt Severin zu sehen, wo sie von den vier Kirchenvätern im Tympanon kritisch beäugt wurde. Dort ist eine Stiftungskartusche von Papst Pius XII. angebracht, der die romanische Kirche 1953 zu einer Basilica minor erhob. Das Wappen des Papstes zeigt sinnigerweise eine Friedenstaube!
Dass für ihn kein religiöses Thema tabu ist, führte uns Thomas Baumgärtel 2008 vor Augen, als er kurzerhand das letztlich von Albrecht Dürer inspirierte Bild von Adam und Eva am Baum des Lebens – eine Ikone der Kunstgeschichte – in die Moderne transformierte, die beiden lebensgroß auf eine schlichte Betonwand sprühte und Eva statt des Apfels eine Banane in die Hand drückte. Auch die bekannten Heiligenbilder sind nicht sicher vor seinem klugen Spiel mit dem Irrealen, wenn er etwa einem Apostel als zeitgemäße „Verführung“ ein hell erleuchtetes Tablet in die Hände legt, das dieser andächtig fixiert. Die Kunsthistorikerin Bettina Baumgärtel hat in diesem Zusammenhang völlig zu Recht auf die Ikonografie und Bedeutung der Vera Icon in der christlichen Vorstellungswelt verwiesen.1
Wie weit aber geht Toleranz in der öffentlichen Wahrnehmung? Ein anderer berühmter Kölner Künstler, nämlich Georg Meistermann, erregte schon in den 1950er-Jahren durch sein damals modernes Fresko im Chor von Sankt Alfons in Würzburg ablehnendes Aufsehen, und kein Geringerer als der spätere Kardinal Julius Döpfner stand dem Künstler als damaliger Bischof von Würzburg mit versöhnlichen Worten gegen ebensolche Kritiker zur Seite, als er sagte: „Laßt euch nicht irre machen von jenen, die das Bild aus einer oberflächlichen Schau und vielleicht aus einer unguten Absicht ablehnen und sogar herunterreißen.“2
„Brücken bauen, statt Mauern zu errichten“, ist Thema eines aktuellen Bilderzyklus. Damit spielt Thomas Baumgärtel einerseits auf die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten an sich an, andererseits steht das Brückenmotiv für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als Grundmaxime demokratischen Handelns. Brücken sind dabei mehr als andere Sujets in besonderem Maße authentische Zeugnisse für die Überwindung von Hindernissen. Dienten seit Menschengedenken Flüsse als natürliche Grenze zwischen Territorien, so galt es, diese mit Brücken zu überwinden, um Allianzen zu schmieden, Handel zu fördern oder sich eines neuen Einflussgebiets zu bemächtigen. Schon Julius Cäsar ließ in der Antike über den Rhein, möglicherweise bei Neuwied, eine Brücke bauen, um für eine Strafexpedition ins feindliche rechtsrheinische Germanien zu gelangen und Macht zu demonstrieren. Brücken sind bei vielen Völkern zugleich Prüfungsort der Seelen auf dem Weg ins Jenseits. In der Neuzeit gilt vor allem die Glienicker Brücke, die zwischen Berlin und Potsdam über die Havel führt, als geschichtliches Symbol und mahnendes Zeichen für den teils spektakulären Austausch von Agenten während des Kalten Kriegs.
2015 entstand das auch in seinen Ausmaßen beeindruckende Bild der Kölner Hohenzollernbrücke, dem 2016 weitere folgten wie Brooklyn Bridge und Glienicker Brücke. Bei der Hohenzollernbrücke mit dem benachbarten Hauptbahnhof handelt es sich um einen der wichtigsten Knotenpunkte im deutschen und europäischen Eisenbahnnetz. Das Bauwerk gehört neben dem Dom als fester Bestandteil zum Kölner Stadtbild. Die in ihrer Wirkung ausgesprochen ästhetischen Gemälde fallen aufgrund ihrer malerischen Qualitäten aus dem übrigen Werkkomplex ein wenig heraus. Thomas Baumgärtel
verwendet als Fond abgelöste Plakatwände, die den Bildern nicht nur eine deutliche räumliche Komponente, sondern ebenso haptische Realität verleihen. Denn das schuppenartig aufgebrochene, mehrschichtige Papier weist ähnlich einer Frottage noch die Struktur des ehemals darunterliegenden Mauerwerks auf und bringt auf seiner Oberfläche Reste von Plakaten zum Vorschein, deren fragmentierte Schrift wie bei einer geheimen Formel wenigstens ansatzweise zu lesen ist. Die imposante Brückenkonstruktion an sich gestaltet der Künstler in einer ihm eigenen, besonderen Grisailletechnik, die Vorbilder in der niederländisch-rheinländischen mittelalterlichen Tafelmalerei vermuten lässt. Die abgestuften Grauwerte sind teils mit der Schablone angelegt, teils gemalt, und bei genauerem Hinsehen entdeckt der Betrachter möglicherweise den schwarzen Stiel der Banane. Thomas Baumgärtel gelingt es gerade bei diesen Bildern in Bezug auf das verwendete Material und die formalen Mittel, Geschichte hintergründig und komplex darzustellen.
Es ist purer Zufall, dass Thomas Baumgärtel und Harald Klemm das 1916 erbaute und bis 1996 als öffentliche Badeanstalt genutzte Deutz-Kalker Bad im Stadtgebiet von Köln als Kulisse für vier große Brücken okkupiert haben. Hier scheint sich nun der Kreis zur Kunsthalle Schweinfurt im 1933 eröffneten, ehemaligen Hallenbad zu schließen. Im Jubiläumsjahr 2019 wird der sympathische Bananensprayer das Programm dort mit der Kunstaktion Volksbanane begleiten. Thomas Baumgärtel hat mit der fröhlich-lustvollen Banane längst ein Alleinstellungsmerkmal in der zeitgenössischen deutschen Kunst gefunden, da es ihm wie kaum einem anderen Künstler gelingt, politisches Geschehen symbolhaft durch kritisches und dabei humorvolles Hinterfragen ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken. Er mahnt uns stets mit hochgehaltener Banane.
Sandra Brandl
1 Vgl. Baumgärtel, Bettina: „Nichts ist so, wie es scheint“, in: Thomas Baumgärtel. 30 Jahre Bananensprayer, Ausst.-Kat. Osthaus Museum Hagen 2016/17, Hagen 2017 (= Schriftenreihe des Fachbereichs Kultur, Bd. 7), S. 8–18, hier: S. 16.
2 Zit. nach Wittstadt, Klaus: „Kirche und Staat“ im 20. Jahrhundert“, in: Wagner, Ulrich (Hrsg.):
Geschichte der Stadt Würzburg, 3 Bde., Stuttgart 2001–07, Bd. 3-1: Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert, S. 453–478, hier: S. 466.