„Heer“ ein Kunstwerk

„Heer“ ein Kunstwerk von Thomas Baumgärtel. Morphologische Beschreibung von Hans-Christian Heiling, 1996.

Im ersten Kontakt hat das Werk eine erschreckende, unheimliche Wirkung. Fast lebensgroß sieht man sich einer Masse von Soldaten gegenüber, die sich über die Bildränder hinaus nach oben, links und rechts unendlich erweitern läßt. Geordnet in Reih und Glied steht man ihnen wie einem anonymen Block gegenüber und spürt förmlich das Dröhnen des Gleichschritts. Wie ein Mann stehen sie dicht an dicht, man kann keine Gesichter erkennen, das sind keine Individuen mehr. Sie warten auf einen Befehl, um sich wie bei einer Parade nach dem „Stillgestanden!“ wieder in Marsch zu setzen. Die machen einem Angst, man denkt an Krieg und an das Töten.

Schon nach wenigen Augenblicken jedoch, beginnt sich diese gut geordnete Einheit aufzulösen. Die Angst vor den Soldaten wird zu einer Angst um die Soldaten.

Das Stramme verschwindet, die Gesichter wirken weich, als könne man auf sie zugehen und sie würden einen nett behandeln. Man kann ihnen plötzlich nichts Böses mehr abgewinnen.

Ihre Macht verkehrt sich in Ohnmacht. Wie von einer starken Bombenexposion erschüttert, geht eine Welle durch sie hindurch.

Bildet die erste Reihe noch halbwegs eine ordentliche Reihe, so wird es doch nach hinten immer wirrer und unordentlicher.

Sie lassen die Schultern hängen, haben die Köpfe gesenkt. Dies ist nun kein heroisches Heldenbild mehr, wie man es von früher kennt. Vielmehr wird man an eine abgekämpfte Schlacht erinnert, eine Armee hinter Stacheldraht, die in die Gefangenschaft geht. Sodaten, die an einem Grab stehen, oder auf ihre Verurteilung warten.

Die Situation, in der sich die Soldaten nun befinden, löst Angst aus, die Stimmung wird immer beklemmender

Das Individuelle kehrt wieder in die Männer ein. Jeder ist in Etwas nachdenklich versunken, hat seinen Beruf und hat mit den Zielen von Kaiser oder Führer nichts zu tun. Sie wirken wie ein Haufen Menschen in Uniformen gepreßt, obwohl sie nichts damit anfangen können.

Die Uniformen wirken wie Dekor, wie ein Umhang, den man über den Einzelnen legt. Die Auflösungstendenz wird so stark, daß nur noch die Koppel, wie Patronengurte, die anfängliche Ordnung aufrechterhalten. Ohne die Koppel werden die Uniformen zu Jackets.

In der oberen linken und rechten Bildecke ist die Auflösung am stärksten. Wie ein Sog zieht es die Männer auf der Flucht dort hin. Gleichzeitig kann dort aber auch eine Auflösung ganz anderer Art beginnen. Handelt es sich bei der Explosion, die die Männer erschüttert, um eine Atomexplosion, gegen die sie auch ihre Helme nicht schützen kann, die jetzt eher wie weiche Mützen wirken, beginnen die Sodaten dort schutzlos im gleißenden Licht zu verbrennen.

Es macht sich ein starkes Mitleid mit den Soldaten bemerkbar, man wird an Feldpostbriefe des Urgroßvaters aus dem 1. Weltkrieg erinnert, wo er über das Leid und den Schrecken des Krieges berichtet.

Es gelingt dem Künstler den Betrachtern einen Blick auf und hinter die Kulisse von Slogans wie „Wir sind eine starke Truppe“ werfen zulassen.

Auch wird die im Rahmen des Tucholskizitates „Soldaten sind Mörder“ entstandene Angst der jetzigen Regierung verständlich, die befürchtet, ohne desindividualisierende massenbindende Bilder nicht mehr genug Bürger zu finden, die auf andere schießen oder sich erschießen lassen wollen.

Gelingt es der Banane zunächst unbemerkt vom Betrachter selbigen in eine starke Wendung von der Angst vor den Soldaten hin zur Angst um die Soldaten hineinzuziehen, so entläßt sie ihn oder sie nach ihrer Entdeckung „das sind ja alles Bananen!“ aus dem Thema mit einer Drehung ins Positive. „Man nimmt es wieder leichter“ , beginnt zu lächeln, trotzdem die Fragen „wer soll die Minen in Bosnien räumen“ oder „was soll ich mit meinem Bruder machen, der ist ein Waffennarr und fand die Bundeswehr wunderbar“ bestehen bleiben.

Hans-Christian Heiling, 1996

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