Eröffnungsrede von Prof. Tilmann Claus



...Rektor der Hochschule für Musik und Tanz Köln zur Eröffnung der Ausstellung „Beethoven, die Demokratie und die Banane" in der Namen-Jesu-Kirche Bonn am 12. September 2024

BAUMGÄRTELS BEETHOVEN BANANE

Suchen Sie sich bitte einen schönen Platz für Ihre Banane aus. Ich bin schon jetzt gespannt, Ihr Zeichen an unserem Hause zu sehen.“ So wird der ehemalige Direktor des Museum Ludwig Köln, Siegfried1 Sehr schade, dass es mir nicht vergönnt war, in dieser Weise im Vorfeld zu reagieren oder mich auf eine Banane zu freuen. Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, mit einer Aktion dieser Art zu rechnen. Und dann ist es passiert: Mitten in Köln, in einem besonderen Viertel, dem nach der Kirche benannten Kunibertsviertel in Bahnhofsnähe, in der Straße „Unter Krahnenbäumen“. 

Hier kann man noch etwas von den Spuren der 50er Jahre wahrnehmen, aber man erahnt auch, wie es davor hier ausgesehen haben mag. Den Zustand in den 50er Jahren hat der Fotograf Chargesheimer in dem gleichnamigen Bildband eindrucksvoll dokumentiert: „Unter Krahnenbäumen“ war und ist keine schöne oder prächtige Straße. Die Häuser waren und sind klein, ihre Fassaden oft abgenutzt. Aber es war eine Straße voller Leben, eines - wie man heute sagen würde - “einfachen“ Lebens. Heinrich Böll hat das treffend im Vorwort zu dem Bildband von Chargesheimer formuliert: „Vielleicht wird nur in Straßen, wie diese eine ist, richtig gelebt.“ Heute ist davon eher wenig geblieben, der Bau der Nord-Süd-Fahrt hat „Unter Krahnenbäumen“ in zwei fast unüberwindliche Bereiche geteilt, typische Bausünden der 60er Jahre. Aber ein neues, ein anderes Leben hat sich hier ab Mitte der 70er Jahre etabliert. Eine Kulturinstitution mitten in diesem traditionsreichen Viertel in Bahnhofsnähe: außen eine Sichtbetonfassade, ein moderates Beispiel des Brutalismus. Zum Bürgersteig hin ist das Gebäude verglast, so dass der Blick nach innen nicht verstellt ist, sondern sogar dazu einlädt: 

Der Blick kann von der Glasfront weiterwandern und eröffnet die Sicht auf das Zentrum des Gebäudes, einen großen Konzertsaal. Es gibt Eingänge an allen vier Seiten, um das Haus so weit wie möglich zu öffnen, also einen öffentlichen Raum zu gestalten. In diesem Gebäude werden Musikerinnen und Musiker ausgebildet, zum einen erarbeiten sie Werke hinter verschlossen Türen in einer intensiven und sehr individuellen Arbeitssituation. Zum anderen präsentieren sie die Ergebnisse ihrer Arbeit und ihres Studiums im großen Konzertsaal dem Publikum. Aber nicht nur das Publikum im Saal kann den Aufführungen folgen, sondern auch die Menschen, die über „Unter Krahnenbäumen“ flanieren oder hetzen, können quasi en passant einen Blick auf das Geschehen im Konzertsaal werfen. Hier also, an diesem durchaus besonderen Ort, wurde in einer Nachtaktion auf die Sichtbetonfassade eine Banane gesprüht, direkt am Eingang, wo der größtmögliche Publikumsverkehr besteht, also unübersehbar und öffentlich, unmittelbar unter dem großen Schriftzug der Hochschule, von der hier die Rede ist, der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Wer anderes als Thomas Baumgärtl könnte der Hochschule diesen nächtlichen Besuch abgestattet und die Banane an der Außenwand angebracht haben. Man weiß um seine Bananen, die an verschiedensten Kulturinstitutionen zu sehen sind und die wie eine öffentliche Auszeichnung wahrgenommen werden: hier findet Kultur statt. 

Daher freue ich mich sehr, dass nun auch unser Haus sich in diese Reihe eingliedern darf. Manche warten auf diese Auszeichnung, wie das Eingangs wiedergegebene Zitat von Siegfried Gohr vom Museum Ludwig dokumentiert, manche werden davon überrascht, so wie wir. Zur Bedeutung der Banane und deren Symbolkraft gibt es zahlreiche und spannende Betrachtungen. Hier etwas ergänzen zu wollen, birgt die Gefahr der Wiederholung. Daher will ich das Besondere unserer Banane in den Blick nehmen. Denn es handelt sich um eine Beethoven- Banane, die an unserer Fassade prangt: aus dem oberen Teil der Banane hebt sich ein stilisierter Kopf des Übervaters der klassischen Musik heraus, der mit weißem Kragen und einem roten Halstuch, den Kopf leicht geneigt den Betrachter bzw. die Betrachterin anschaut. Aus seinem Kopf wächst der Stiel der Banane, der im ersten Moment wie ein Dirigierstab aussieht. Entworfen hat Thomas Baumgärtel die Beethoven-Banane zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven im Jahr 2020. Das Zeichen bleibt aber auch im Jahr 2024 aktuell, da vor 200 Jahren 1824 in Wien eines seiner berühmtesten Stücke, die 9. Symphonie, uraufgeführt wurde. 

Diese Symphonie nimmt in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmestellung im Schaffen des Komponisten, in seiner persönlichen Biografie und der Musikgeschichte ein. Es ist bekanntlich eines der letzten Stücke, die er vollendet hat und das zugleich zu seinem radikalsten Orchesterwerk zählt. Mit einer Dauer von über 70 Minuten sprengt es alles, was bis dahin an symphonischer Musik komponiert wurde. Und welche riesige Neuerung es darstellt, einer rein instrumentalen Gattung absoluter Musik, wie es die Symphonie seit langem war, am Ende die menschliche Sprache durch Chor und Solisten hinzuzufügen, kann man heute kaum noch ermessen. 

Es ist ein Überwinden oder Überschreiten von bis dahin üblichen Grenzen und ein Aufbrechen in neue Regionen. Schließlich muss man den immer wieder zitierten nach wie vor berührenden Bericht der Uraufführung vor Augen haben, um zu erahnen, unter welchen extremen Bedingungen Beethoven diese Symphonie komponiert hat: „Beethoven war so aufgeregt, dass er nichts sah, was um ihn vorging, das er auf den Beifallssturm, den er freilich bei seiner Gehörschwäche kaum hören konnte, auch nicht einmal achtete“, so berichtet der Geiger Josef Michael Böhm.


 

Diese Mischung aus Taubheit und Ekstase von Beethoven prägen noch heute das Bild des Komponisten. Die 9., jeder weiß was gemeint ist, ist weltweit bekannt, ist der Inbegriff der deutschen und europäischen Musik und ist im besten Sinne Volksmusik geworden, zumindest der letzte Satz und die dort verwendete „Ode an die Freude“. Bei aller Komplexität der Symphonie im Ganzen ist diese Ode im 4. Satz über weite Strecken einfach gehalten, sowohl was Rhythmus, Harmonik als auch die Melodie betrifft. Das sind beste Voraussetzungen, um den Text und den Inhalt nicht nur gut verständlich zu machen, sondern auch die Basis dafür zu legen, diese Musik weiterzutragen. So hat vor allem die Ode seit der Uraufführung eine kaum zu überbietende Symbolkraft erlangt. Sie steht für einen weltumfassenden Humanismus, für Freiheit, Frieden und Solidarität. In diesem Bedeutungskontext ist sie im besten Sinne nicht nur Volks- sondern auch Weltmusik. 

Wie anders ist es zu verstehen, dass die Melodie der Ode 1985 zur offiziellen Hymne der Europäischen Gemeinschaft erklärt wurde. Wie kommen sonst chinesische Studierende dazu im Juni 1989 auf dem Tian’anmen-Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens, zu den Klängen der 9. Symphonie zu demonstrieren, bis der Aufstand am 4. Juni blutig niedergeschlagen wurde. Wie könnte man besser das historische Ereignis des Mauerfalls 1989 feiern, als durch eine Aufführung der 9. Symphonie im Ost – und Westteil der Stadt, wie es Leonard Bernstein tat und dabei den Text in „Freiheit schöner Götterfunken“ umgedichtet hat. Welches Zeichen wird gesetzt, wenn 2014 Mitglieder der Odessaer Symphoniker zu Zeiten der Annexion der Krim durch Russland in einem Flashmob die Ode an die Freude aufführen und welches friedliche Zeichen wird gesetzt, wenn sich 2015 Mitglieder des Theaters Mainz durch wiederholtes Singen der Ode von den Stufen des Theaters herab einer AfD-Kundgebung entgegenstellen. 

Die Liste solcher oder ähnlicher Beispiele ließe sich lange fortsetzen. Es zeigt sich, dass Beethoven mit der Ode nicht nur großartige Musik geschaffen hat, sondern ein universelles Zeichen gesetzt hat, das im besten Sinne einfach und klar ist, für alle nachvollziehbar und das sich einprägt, sowohl die Musik als auch die Intention, die damit verbunden ist. Mit aller Vorsicht sei eine gewagte Parallele gezogen: Vielleicht gibt es hier einen unmittelbaren Bezug zu Baumgärtels Banane: die skizzenhafte Form ist klar und einfach, ist eine Auszeichnung des Künstlers für besondere Kulturinstitutionen und sie besitzt einen enormen Wiedererkennungswert. Baumgärtels Beethoven Banane ist an der Wand der Hochschule für Musik und Tanz Köln öffentlich sichtbar und passt zur architektonischen Offenheit der Architektur in diesem besonderen Viertel. Sie huldigt nicht nur der Institution, zu der Thomas Baumgärtl schreibt: „sie zieht renommierte Dozenten und Gastprofessoren aus der ganzen Welt an – dies sorgt für eine hochwertige Ausbildung, die sowohl technische Fähigkeiten als auch künstlerische Entfaltung fördert“ – schöner hätte ich es als Hausherr nicht beschreiben können, sondern sie würdigt einen großen Komponisten, der trotz aller Entwicklungen und Veränderungen in der Musik mit der immensen Vielschichtigkeit seines Werkes nach wie vor eine zentrale Bedeutung in der Musikkultur einnimmt. Doch ich komme noch einmal auf die Nachtaktion von Thomas Baumgärtel in Köln zurück: als ich am Morgen nach der Aktion informiert wurde, dass auf der Fassade vor dem Eingang eine Banane aufgesprayt wurde, war es mir klar: Als Hausherr eines denkmalgeschützten Bauwerks kenne ich die Vorgaben nur zu gut und ich weiß um die Gefahren. Daher galt mein erster Anruf dem Gebäudemanagement mit der klaren Ansage: „Bitte nicht wegmachen, dranlassen!“ Der zweite Schritt war, den Künstler anzuschreiben und ihn zu einem gemeinsamen Rundgang durch die Hochschule einzuladen. 

Diesem sehr angenehmen Besuch von Thomas Baumgärtel in der Hochschule und dem damit verbundenen Gespräch ist es zu verdanken, dass ich hier heute zu Ihnen sprechen durfte. Schließlich erlaube ich mir einen kleinen Hinweis mit einer Perspektive: Lieber Thomas Baumgärtel, 2027 ist der 200ste Todestag des Komponisten Ludwig van Beethoven – und die Hochschule für Musik und Tanz hat noch weitere Wände … 

Prof. Tilmann Claus

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