Eröffnungsrede von Marko Schacher 2012
Baumgärtel am 4. Mai 2012.
Willkommen in der Bananenrepublik Schill. Es freut mich sehr, dass Ihnen die heutige Ausstellungseröffnung nicht Banane ist und Sie sich mit mir jede Menge krummer Dinger ansehen werden. Möge der Abend für alle Seiten fruchtbar sein!
1998, bei seinem ersten Besuch in Stuttgart, hat Thomas Baumgärtel – Ihnen allen besser bekannt unter seinem Pseudonym „Bananensprayer“ – in Stuttgart 14 Bananen gesprayt – u.a. vor dem Eingang der Staatsgalerie, des Württembergischen Kunstvereins, des Künstlerhauses und einiger Privatgalerien. Auch wenn es vier der Galerien inzwischen nicht mehr gibt, war bzw. ist die Chance, dass Sie tatsächlich ein Original von Thomas Baumgärtel bereits gesehen haben, sehr groß. Wobei sich bereits hier beim Stichwort „Original“ herrlich streiten ließe, weißt die Spraybanane doch auffallend und sicher bewusst Ähnlichkeiten mit der 1966 von Andy Warhol für die Band „The Velvet Underground“ entwickelten Plattencover-Banane auf. Zudem ist ein inzwischen bereits über 4000 mal gespraytes Motiv wohl eher ein „Multiple“, falls überhaupt, da jeglicher Verweis auf den Schöpfer und auch eine das Werk besiegelnde Unterschrift fehlen. Mit dieser Spraybanane markiert der Künstler Ausstellungsorte, die seinen persönlichen Vorstellungen von unabhängiger, guter Kunst entsprechen. Auch meine Galerie „Schacher – Raum für Kunst“ wurde heute Nachmittag – zusammen mit einigen wenigen weiteren Galerien – auf diese Weise geadelt. Nach wie vor bewegt sich der Künstler munter und motiviert im Niemandsland zwischen Sachbeschädigung und Wertschöpfung. Die meisten Kunstinstitutionen freuen sich inzwischen über das fruchtige Qualitätssiegel.
Der Staat tut das weiterhin weniger. Liest man seine vorübergehende Verhaftungen und Verhöre dokumentierenden Einträge auf der Internetplattform „Facebook“ gewinnt man den Eindruck, dass das anarchistische Potential, das der Sprayhandlung an sich bereits innewohnt, im Zeitalter der omnipräsenten Überwachungskameras zugenommen hat.
Hier im Kunsthaus Schill freilich haben Sie es, Dagmar Schill garantiert das mit ihrem guten Namen, eindeutig mit Kunst zu tun. Die Werke, viele davon auf klassischer Leinwand, hängen wie ordentliche Kunstwerke an der Wand, sind signiert und mit Werketiketten versehen bzw. über eine ausliegende Preisliste eindeutig identifizierbar. Und trotzdem, und da werden Sie mir sicherlich zustimmen, wachsen in dieser kunstzertifizierten Bananenplantage so manche anarchistischen Früchte. Papst Benedict hält – und das ausgerechnet auf einem Silbertablett – keine heiligen Insignien für uns bereit, sondern eine riesige Banane. Dass in Thomas Baumgärtels Version von Albrecht Dürers Kupferstich "Adam und Eva" zwei Bananen die verbotenen Früchte der Erkenntnis ersetzt haben, mag fast schon blasphemisch anmuten, entspricht möglicherweise aber tatsächlich mehr den topografischen Bedingungen des Handlungsortes. Die freie Abwandlung der Szenerie auf einem Metalltüren-Dipthychon – übrigens Reliquien des Circus Roncalli – macht die Angelegenheit nicht weniger provokant. Auch so manch eine Metamorphose der sogenannaten „Kölnbanane“ auf dem bereits 1987 entstandenen Gemälde mag allzu konservative Zeitgenossen nicht wirklich erfreuen. Mit Engelsflügeln ausgestattet, mit Heiligenschein versehen, die beiden Türme des Kölner Doms einnehmend und statt dem Heiland ans Kreuz genagelt, könnten Thomas Baumgärtels Bananen überzeugte Christen zu „Sodom und Gomorra“-Urteilen verleiten.
Das war übrigens von Anfang an so. Denn die unter einem angedeuteten Früchte-Label gekreuzigte Banane ist ein – Bananensprayer-Insidern längst bekannter – Verweis auf das allererste Bananen-Kunstwerk von Thomas Baumgärtel. 1983, damals war der Noch-Nicht-Künstler Zivildienstleistender im katholischen Krankenhaus seiner Heimatstadt Rheinberg, hat er ein von der Wand gefallenes Kreuz aufgehoben, den kaputt gegangenen Jesus durch seine gerade greifbare Frühstücksbanane ersetzt und wieder an den Nagel gehängt. Auch, um – wie er zugibt – die Ordenschwestern aus der Reserve zu locken. Das ist ihm gelungen. Die heftigen Reaktionen darauf haben ihn bestätigt, Kunst zu studieren. Insofern verarbeitet der Künstler hier auch seine Vergangenheit. Genau wie mit der Banane, die sich mit ihren Freudschen Verweisen auf das „Über-Ich“, „Ich“ und „Es“ und ihren medizinisch anmutenden Kürzeln als Verweis auf das parallele Psychologiestudium des Künstlers offenbart. Die schwarze, mit PVC gemalte Banane repräsentiert wiederum nach Aussage des Künstlers das Unbewusste, oft Verdrängte.
Und weiter im Provokations-Panoptikum des Thomas Baumgärtel. Ob ein etwas plumper Verweis auf die erotische Metaphernmacht der Banane heute noch provokant ist, müssen sie selbst entscheiden. Über die in einem Einmachglas als Reliquien angebotenen verdreckten Sprühkappen könnten sich eventuell einige schwäbische Hausfrauen aufregen. Und über den unten im Schaufenster präsentierten Slogan „Schule ist…Banane“ dürften sich die vorbeieilenden Schüler freuen, deren Eltern wohl weniger.
Und was ist eigentlich davon zu halten, wenn Thomas Baumgärtel fertige Ölgemälde von Kollegen einfach übersprayt, die vorgefundenen Szenerien mit Bananen und Comic-Figuren ergänzt, so seine Bildfindungen buchstäblich auf eine Ebene mit klassischer Landschafts- und Stilllebenmalerei bringt – und neben das Künstler-Kürzel seine eigene Unterschrift setzt.? Die Künstler und Hobby-Künstler wären wohl not amused.
Da die übermalten Gemälde aber selbst Adaptionen von großen Meistern sind, scheint es nur konsequent, dass Thomas Baumgärtel sie mit seinen Tim- und Struppi bzw. Snoppy und Woodstock-Figuren auf eine Ebene der Trivialkultur bringt bzw. sie mit seinen Früchten banalisiert bzw. ananisiert.
Mit seinem sogenannten „Bananenpointillismus“ und – ganz neu im Programm – seinem „Bananenstielpointillismus“ hat Thomas Baumgärtel einen an die Impressionisten des späten 19. Jahrhunderts anknüpfenden Malstil erfunden. Der Künstler benutzt hier Tausende mit Schablonen gesprayter Bananen bzw. deren Fragmente, um damit puzzleartig Bilder auf der Leinwand bzw. auf unserer Netzhaut zusammenzusetzen.
Das Allover der Reize verwirrt und fasziniert zugleich. Je näher man vor die Gemälde tritt, desto mehr wird es Banane. Je mehr Distanz man zwischen sich und das Werk bringt, desto klarer, schöner und übersichtlicher wird es.
Eine sehr schöne Mischung aus „Bananenpointillismus“ und „Bananenstielpointillismus“ ist übrigens die im sakralen Gold ausgeführte Darstellung des „Kölner Doms“ aus dem letzten Jahr.
Ob Marilyn Monroe oder Obst-Darstellungen Alter Meister – Thomas Baumgärtel bedient sich ganz im Sinne von Andy Warhols Maxime des „Anything goes“ munter und ohne Scheu im Gemischtwarenladen der neueren und älteren Kulturgeschichte.
Besonders angetan haben es dem Künstler die fast schon wissenschaftlich daherkommenden Zeichnungen der italienischen Künstlerin Giovanna Garzoni aus dem 17. Jahrhundert. Dass Baumgärtel für deren Adoptionen vergilbte Leintücher benutzt hat, in die einst Gummi-Walzen eingerollt waren, um die Patina eines alten Gemäldes nachzuahmen, zeugt von der großen Ehrerbietung des neuen Meisters vor der alten Meisterin.Das wir hier um die Ecke ausgerechnet Steve Jobs, den Mitgründer der Firma „Apple“ Hamlet-gleich mit einem Apfel in der Hand erblicken, aber zusammengesetzt aus Tausenden von Bananenstilen, bezeugt des Künstlers ironischen Umgang mit den achso hehren Persönlichkeiten unserer Gesellschaft.
Die Strafe hat er prompt mit einer Sehnenscheidenentzündung vom Dauer-Schablone-Hochhalten und Dauer-Sprayen bekommen.
Die Suche nach neuen Techniken unterstreicht Baumgärtels spielerischen und experimentellen Umgang mit der Materie. Auch sein erstes und bisher einziges mit Hilfe von Bananen-Stempeln angefertigtes Werk, können Sie innerhalb der Überblicksausstellung hier im Kunsthaus Schill sehen. Es ist der zufrieden drein schauende Buddha-Kopf.
Einen mutigen Schritt hat der Bananensprayer mit seiner neuesten Serie, den sogenannten „Spraygrammen“ gewagt. Hier verschwindet die Banane nach und nach aus dem Bild – und ist nur noch als übersprayte Bananenschablone bzw. übersprayte Frucht auszumachen. Verdrängt wurde sie – vielleicht kann man das auch symbolisch deuten – von Utensilien aus dem Alltag des Künstlers und von Relikten der Poesie. Tacker, Zange und Computer-Kabel stehen der Palette, der Spraydose und der Banane im beige besprühten Wimmelbild des Bananensprayers mittlerweile auf derselben Hierarchieebene zur Seite. Ein Rechen wird zur Sonne, die herumwirbelnde Blätter und Schmetterlinge in den Arm einer Fliegenklatsche treibt. Weit und breit ist keine Banane zu sehen. Spätestens bei den wie ein Tagebuch funktionierenden „Metamorphosen“ werden Sie erkennen: Die Erscheinungsformen der Baumgärtel-Bananen sind ebenso mannigfaltig wie die Bildträger, oft Fundstücke, mit denen sie eine Symbiose eingehen. Die anlässlich des 150-jährigen Telefonjubiläums zum Posthorn mutierte Banane macht auf einem gelben Telefonhäuschen natürlich Sinn. Ebenso ein mit Bananenschlund versehener Totenkopf mit Atomstrahlenkranz auf einer sargartigen Metallabdeckung – eine Arbeit, die der Künstler mit einer Art Galgenhumor „Smiley“ betitelt hat. Sein auf eine Gasflasche gesprayter Projektentwurf für einen stillgelegten Hochofen in der einstigen Stahlindustrie-Metropole Dortmund verweist auf alternative Energiequellen. Und die „Frau von Heute“ hat sich ein Ölfass und somit zumindest den Monatsnachschub für Ihren City-Geländewagen gesichert.
Die Werke „Mücke“, „Banana Spirit 1“ und „Comic Spirit“ sind auf riesige Metallscheiben gesprüht, auf denen einst Gummischläuche aufgerollt waren. Reizvoll ist hier vor allem der Kontrast zwischen den locker, flockig im schwerelosen Raum herumfliegenden Motiven und dem schweren Untergrundsmaterial.
1998 hat Thomas Baumgärtel in seiner bisher wohl spektakulärsten Aktion eine überdimensionale Banane quasi in das Portal des Kölner Doms geschoben. Ähnlich surreale Verbindungen wollte er mit dem Brandenburger Tor und dem Hochofen 5 im Dortmunder Stadtteil Phoenix-West verwirklichen, ist jedoch an der Bürokratie und deren Bedenkenträgern gescheitert. Mal sehen, was aus den Vorhaben wird…
Sie sehen also, die Früchte der Arbeit von Thomas Baumgärtel sind vielfältig. Dank dieser ersten Einzelausstellung des Bananensprayers in Stuttgart, einer vom Künstler selbst zusammengestellten „Best Of“-Auswahl, wird endlich das gesamte, umfang- und abwechslungsreiche Oeuvre des Künstlers auch im Ländle bekannt. Vielleicht regt die Ausstellung und deren positives Feedback ja hiesige Vertreter der Street Art an, zum Maultaschen- oder Spätzles-Sprayer zu werden. Ich hoffe, nicht…
Bleibt mir nur noch, mich bei Ihnen zu bedanken, für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld – und Sie zu bitten. Machen Sie sich auf ihre eigene Schnitzel- bzw. Bananenjagd, schauen Sie bitte auch in alle Regale und Vitrinen, finden Sie eigene Assoziationen vor den Werken und finden Sie bitte den Mut und die Zeit mit dem anwesenden Künstler zu sprechen. Es lohnt sich. Und ist nicht Banane.
Marko Schacher M.A., Galerist, Raum für Kunst, Stuttgart