Eröffnungsrede von Heike Hollunder 2016

Eröffnungsrede von Heike Hollunder, Museumsleiterin der Dokumentationsstätte Regierungsbunker Ahrweiler am 4. März 2016.

"Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..." der Rest des Satzes ging im tausendfachen Jubel der DDR-Bürger unter, die in der bundesdeutschen Botschaft in Prag "Asyl" gefunden hatten. Sie hatten geplant über Ungarn und Österreich in die BRD zu fliehen, wurden aber von den Grenztruppen der CSSR daran gehindert. In die DDR zurück wollten sie nicht. Es war Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der am 30. September 1989 diesen Satz in der Prager Botschaft der BRD sagte. Er endete übrigens "… möglich geworden ist!" - der Satz, der die Welt veränderte. Ich beginne mit diesem Satz, weil der erste Freiheiter Preis an Hans Dietrich Genscher geht, einer der wichtigsten Politiker der Wiedervereinigung, und, weil dieser Satz das Ende der DDR einläutete und den Weg für die deutsche Einheit bereitete. Damit bin ich auch schon beim Stichwort: denn „Deutsche Einheit“ ist auch der Titel der Sonderausstellung, die wir heute eröffnen. Die Künstler Thomas Baumgärtel und Harald Klemm widmen sich seit 1999, wie keine anderen, der friedlichen Revolution und dem Zusammenwachsen von Ost und West. Beide nutzen ihre Kunst, um auf politische, soziale und wirtschaftliche Missstände hinzuweisen. Sie arbeiten gemeinsam an den Bildern. Das Thema ist für sie noch nicht abgehakt, der Prozess der Einheit noch nicht vollendet. So entstehen immer wieder neue Bilder, rückblickend und in Verknüpfung mit der aktuellen Situation. Sie erschaffen ihre Werke als Team, als deutsche Einheit. Neben den Gemeinschaftsarbeiten zeigen wir aber auch Einzelarbeiten der beiden Künstler, auch über das Thema der Deutschen Einheit hinaus, wie zB. die Flüchtlingsserie von Harald Klemm, die sich mit den letzten großen Flüchtlingswellen vor 20 Jahren aus Bosnien und nach dem 2. Weltkrieg beschäftigen. Für ihre Gemälde nutzen beide zum Teil historische Fotos als Vorlagen, wie zB. Thomas Baumgärtel im großen Bild im Eingangsbereich, das den Titel: „Brandt mit Albertz“ trägt und 2007 entstanden ist. Zu sehen ist der regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt. Er informierte sich am 13.08.1961 am Brandenburger Tor über die Aktivitäten an der Sektorengrenze in Berlin. Rechts der Pastor und SPD-Politiker Heinrich Albertz. Brandt bezeichnete am selben Tag in einer Fernsehsendung die Teilung Berlins als "empörendes Unrecht". Am 13.08.1961 wurde die Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin bis auf wenige Übergänge abgeriegelt. Harald Klemm nutzte für seine Gemälde fast ausschließlich Fotografien aus dem Bundesarchiv in Koblenz. Baumgärtel und Klemm haben ihre ganz eigene Bildsprache entwickelt, ihre ganz persönliche Sicht auf die politischen Ereignisse. Neben böser Kritik nutzen sie auch Humor und mit einem ironischen Augenzwinkern setzen sie politisch brisante Themen für den Betrachter ins Bild. Dabei sind ihre Werke immer hintergründig. Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Es gibt vieles zu entdecken und nachzudenken, wenn der Betrachter sich darauf einlässt, sich den Bildern emotional zu nähern.

Im Laufe der Jahre ist so eine Fülle von Arbeiten zur „Deutschen Einheit“ entstanden, die sich teils sehr direkt, teils subtil mit den Bildern und Symbolen der Deutschen Einheit auseinandersetzen. So werden zum Beispiel die zum geflügelten Wort gewordenen „Blühenden Landschaften“, von Helmut Kohl in einer Ansprache 1990 als Vision für die neuen Bundesländer verwandt, zum Bildtitel. Wer genauer hinschaut, erkennt inmitten des bunten, blumigen Bananenpointillismus, allerdings auch giftiges, wie Stechapfel, Tollkirsche und Fingerhut. Ein häufig wiederkehrendes Motiv in den Bildern von Klemm und Baumgärtel ist das Brandenburger Tor. Im 18. Jahrhundert gebaut als Symbol für den Frieden wurde es in der Zeit des Kalten Krieges zum Symbol der Trennung von Ost und West und der verlorenen Freiheit in der DDR. Als Symbol für Freiheit, Frieden und Einheit repräsentiert es heute Berlin und das wieder vereinte Deutschland in der Welt. Harald Klemm ist Historiker und freischaffender Künstler und wohnt in Köln. Geschichte ist ihm vertraut, auch wenn der Zugang zur deutsch/deutschen Geschichte persönlicher Art ist. Die persönlichen Ansätze liegen in seiner Familiengeschichte. Sein Vater und dessen Bruder werden durch den Mauerbau 1961 getrennt, Klemm fuhr mit seiner Familie jedes Jahr mindestens einmal in die DDR. Bei Thomas Baumgärtel, der Psychologie und Kunst parallel studierte, ist „Alles Banane“, im wörtlichen Sinn. Er ist als Bananensprayer in der internationalen Kunstszene bekannt. Für ihn ist die Banane d a s Friedenssymbol, mit ihr kämpft er für die Freiheit der Kunst. Auch er lebt und arbeitet in Köln, teilt sich eine große Atelier-Halle mit Harald Klemm.

Als er 1986 begann, von ihm verehrte Museen, Galerien und Ausstellungshäuser mit einer 35cm großen Banane mittels einer Schablone zu besprühen, wurde der eine oder andere Museumsdirektor schon mal handgreiflich. Baumgärtel wurde mehrfach angezeigt und von der Polizei verhaftet. Was mit nächtlichen geheimen Sprüh-Aktionen begann, ist heute zum Ritterschlag für ein Museum oder eine Galerie geworden. Wer mit dem Gütesiegel der Spraybanane geehrt wird, erhält eine Auszeichnung, die heute auch von den Besuchern als Erkennungszeichen für einen Premiumkunstort verstanden wird und reiht sich ein in das Netzwerk der prämierten Kunstorte. So haben bis heute über 4000 Museen, Galerien und Ausstellungshäuser weltweit die Auszeichnung SprayBanane erhalten, darunter das Guggenheim Museum in New York oder das Puschkin Museum in Moskau, aber auch das Museum Ludwig in Köln, die Bundesskunsthalle in Bonn oder das Arp-Museum in Rolandseck. Baumgärtel nutzt die Banane in mannigfaltigen Metamorphosen um sich ernsten Themen auf ironische Art und Weise zu nähern: da gibt es zB die Friedensbanane, die Sprengbanane und die Vereinigungsbanane.

Die Dokumentationsstätte Regierungsbunker ist zwar ein künstlicher Ort, aber kein Kunstort. Auch wenn in den Schlafräumen der Regierenden jeweils zwei Drucke von alten Meistern, deutschen Landschaften oder bedeutenden Kulturdenkmälern hingen, hier war ein komplett kunstfreier Raum. Um dem abzuhelfen, hatte die Künstlergruppe Klärwerk III aus Bonn schon 1982 beim damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt angefragt, ob sie den Regierungsbunker künstlerisch ausgestalten dürfe. Schmidt lehnte das Angebot höflich ab. Uns ist es heute eine besondere Freude in den Räumen des ehemaligen Regierungsbunkers eine Kunst-Ausstellung zu zeigen, die so eng mit dem Thema Wiedervereinigung verknüpft ist. Ich durfte die letzten vier Tage dabei sein, wie die Bilder in den Räumen ihren Platz gefunden haben und bei einigen hat man das Gefühl, sie seien extra für diese Räume geschaffen worden.

Der Regierungsbunker ist ein Ort an dem Geschichte geschrieben wurde. Hier wurde alle zwei Jahre nach Nato-Drehbüchern Dritter Weltkrieg geprobt. Unser Bunker ist eng verknüpft ist mit der Trennung von Ost und West, auch wenn er weit entfernt ist von dem Todesstreifen und den Grenztürmen, die Baumgärtel und Klemm in ihren aktuellen Bildern „Russisch Brot“ von 2015 und „Deutscher Sang“, das explizit für die Ausstellung im Regierungsbunker entstanden ist. Der Regierungsbunker und die „Deutsche Einheit“ sind Geschichte. Aber Grenzzäune und Grenzkontrollen lassen uns ganz aktuell an die Flüchtlingssituation und die Anschläge von Paris bis Istanbul denken. Das Thema Freiheit ist ein fragiles Gut und nicht weniger aktuell als vor 25 Jahren, vor 68 Jahren oder 98 Jahre in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt. Geschichte wiederholt sich nicht. Es wird keinen neuen Kalten Krieg geben. Aber es gibt neue Dimensionen. Das Jubiläum zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit im letzten Jahr nahm Hans Dietrich Genscher zum Anlass, über die gegenwärtige Situation in Europa zu sprechen. "Spannungen zwischen Ost und West seien zum Teil bereits Realität, teils deuteten sie sich an", sagte Genscher. "Deshalb muss jeder, der sich verantwortlich fühlt für Stabilität und Frieden und Zusammenarbeit in Europa, tief besorgt sein." Der ARD sagte Genscher, eine der Lehren aus den damaligen Geschehnissen sei, "dass man schwierigste Fragen lösen kann, wenn man sich intensiv darum bemüht, Konfrontation abzubauen".

Heike Hollunder, Regierungsbunker Ahrweiler

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