Eröffnungsrede von Dr. Glüpers

Bananas & other Stories
Sonntag, den 15. Mai 2022, 17 Uhr Galerie Art Engert, Eschweiler

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Sie nach dieser langen Durststrecke endlich wieder zu einer Kunstausstellung begrüßen zu dürfen. Und dies nicht per Video-Konferenz, sondern life. Und das Beste: Wir sehen heute neben Thomas Baumgärtel weitere herausragende Künstler-innen im Skulpturengarten: Hans Scheib, Wim Steins, Bernhard Kucken, Lothar Krull, Peter Vink, Bart Ensing, John Franzen, Ubbo Enninga, Judith Mann, Haute Cuisine, Dirk Gottfried, Axel Kreiser, DAVO
Ich werde mich aber auf Thomas Baumgärtel und auf seine Werke beschränken.
Als ich mich auf diese Ausstellung vorbereitete, schaute ich ins Internet. Wie man heute so schön sagt: Ich googelte. Thomas Baumgärtel ist ein bekannter Künstler und ich hatte das Gefühl, von der Fülle der Einträge wie von einer Tsunami-Welle überspült zu werden. Was sollte ich aus dieser Fülle herausgreifen? Der Aachener in mir ließ mich verzweifelt die Hände über den Kopf zusammenschlagen und ich murmelte: Au banan!
Wir telefonierten und er gab mir wertvolle Hinweise zu dem, was ich Ihnen heute hier erzählen möchte. 
Der Titel der Ausstellung lautet: Bananas & Other Stories. Sie alle kennen Thomas Baumgärtel und seine Bananen. Er selbst nennt sich und arbeitet unter dem Pseudonym: Bananensprayer. 
Hätte Thomas Baumgärtel Design studiert, würde mich dies nicht wundern.  Sehen wir eine gesprayte Banane an einer Hauswand, assoziieren wir sogleich diesen Künstler. Oder weiter gefasst: Die Banane ist zum Synonym für Kunst geworden. Jedes Unternehmen, gleich welcher Art, würde sich überglücklich schätzen, solch ein Logo zu haben. Mir fällt nur eines ein, das bei mir diese starke Assoziation auslöst: der angebissene Apfel …

Wie aber kommt nun Thomas Baumgärtel zu der Banane. Das ist die wahrscheinlich am häufigsten gestellte Frage an ihn. Warum keine Birne? Den Apfel hatten wir ja schon. Warum ausgerechnet eine Banane? 
Welche Assoziationen stellen sich bei den einzelnen Früchten ein? Bei dem Apfel denken wir an Computer und natürlich an den Sündenfall. Wie ist das bei Bananen? Das kräftige, strahlende Gelb? Die gebogene Form? Phallussymbol? Mir fallen Redensarten ein: Das ist alles Banane! Oder man spricht von einer Bananenrepublik!Was reizte Thomas Baumgärtel an der Banane? 
Mir verriet er es.
Zu Beginn klingt die Geschichte bekannt, ähnlich ist es vielen Künstlern ergangen: Der Vater wünschte, dass der Sohn Medizin studierte, von den Abiturnoten hätte dies auch wunderbar funktioniert, aber …

Thomas Baumgärtel, 1960 in Rheinberg am Niederrhein geboren – nebenbei erwähnt ist 1960 ein fantastischer Jahrgang - leistete seinen Zivildienst in einem katholischen Krankenhaus ab. In jedem Zimmer hing über der Tür ein Kreuz mit einer Jesusfigur. Eines Tages jedoch löste sich eine dieser Figuren und zerschellte auf dem Boden. Der Zivildienstleistende kehrte die Scherben zusammen und schaute auf das nackte Kreuz. Das gefiel ihm nicht. So konnte man das nicht lassen! Kurzerhand packte er seine Frühstücksbanane aus und klemmte sie an die leeren Nägel. Die weiße Frucht diente als Körper, die gelbe Schale fächerte er zu Armen auf. 
Die Kranken in den Betten waren begeistern und ich denke, das Lachen half ihnen bei der Genesung. Nicht so die Schwestern, sie waren entsetzt. Welch ein Sakrileg!
Die Geschichte reizt zum Schmunzeln, aber in diesem Moment wurde Thomas Baumgärtel klar, was man mit kleinen, einfachen Dingen auszulösen imstande war, und sein Entschluss stand fest. Er wollte Kunst schaffen und die Banane als sein Symbol, sein Signum, sein Elementarzeichen ist in diesem Augenblick geboren.
Von 1985 bis 1990 studierte er Freie Kunst in Köln und gleichzeitig bis 1995 noch Psychologie. 1986 markierte er zum ersten Mal einen Kunstort mit der Spraybanane. Diese sind in Pochoir-Technik umgesetzt, das heißt, ein mit einer Schablone, mit einem ausgeschnittenen Muster gefertigtes Graffiti.
Zu Beginn seiner Karriere musste er äußerst vorsichtig im Schutze der Dunkelheit agieren, das heißt anonym. Lediglich Insider wussten um seine Identität. Irgendwann jedoch wurde er auf der Kölner Domplatte auf frischer Tat beim Sprayen erwischt und das Versteckspiel war beendet. Die lokale Presse war ihm auf die Schliche gekommen. Als Sachbeschädigung angesehen, hagelte es Anzeigen, aber damit begann auch seine Erfolgsstory. Die Spraybanane entwickelte sich zu einem von Galeristen und Museumsleuten akzeptierten und begehrten Signet und Qualitätssiegel.
Mittlerweile findet sich die Spraybanane an den Eingängen von etwa 4000 Kunstmuseen und Galerien sowohl in deutschen als auch internationalen Städten, vom Museum Ludwig in Köln bis zum Guggenheim Museum in New York, von den großen Galerien in fast allen Metropolen der Welt bis zu entlegenen Kunstorten. Alle sind stolz, diese „Banalität“ verliehen bekommen zu haben. Wie sieht es hier in Eschweiler aus?

Thomas Baumgärtels Spraybanane erinnert an Andy Warhol. Dieser produzierte 1966 das berühmte ›Bananenalbum‹ von Velvet Underground und er schuf das Cover. Dem Pop Art Künstler Warhol war wichtig, alltägliche Dinge zu präsentieren, denken Sie an seine Suppendosen. Und so verhalf er der Banane zu künstlerischen Weihen, setzte sie auf den hehren Thron der Kunst. Danach verschwand sie unbeachtet wieder, um von Thomas Baumgärtel wieder entdeckt zu werden. Knallig gelb und stark abstrahiert.
Aber Thomas Baumgärtel kopierte diese Banane nicht, er blieb nicht wie Warhol in seinem Atelier, er ging lange vor Banksy hinaus auf die Straße und gab ihr in einem anderen Kontext eine völlig neue Bedeutung – Wegweiser zu Kunst-Orten.
Allerdings wäre es auch ein fataler Fehler, den Künstler Thomas Baumgärtel auf diese Spraybanane zu reduzieren. Er gründete Künstlergruppen, arbeitete und arbeitet an zahllosen Projekten, in Duisburg kann man das Bananenhaus besuchen, wo er die Fassade gestaltete, er entwickelte Plakate für Musik-Festivals, für Friedensaktionen und vieles mehr. Das können Sie alles bei Wikipedia nachlesen oder bei You-Tube anschauen.  Unter anderem greift Thomas Baumgärtel berühmte Meisterwerke der Kunstgeschichte auf, hier zu sehen ›Das liegende Mädchen‹ von Francois Boucher oder ›Tina in New York‹, das an die ›Olympia‹ Gustave Courbets erinnert, die er in einem Bananenpointilismus – wie er es selbst nennt – in seine Sprache umsetzt. 
Dazu einige Sätze: Früher mischten die Maler ihre Farben auf der Palette, im Impressionismus begann man dann, die Farben auf die Leinwand zu bringen und erst dort zu mischen. Einige gingen einen Schritt weiter, mischten die Farben nicht mehr, sondern setzten zwei ungemischte Farbstriche nebeneinander. Das menschliche Auge, das menschliche Gehirn mischt die Farben.Georges Seurat widmete sich intensiv diesen neuen Erkenntnissen zur Farbenlehre. Er studierte die Farbwahrnehmung und die additive Farbmischung. Und daraus entwickelte er eine neue Maltechnik. 

Diese beruht auf dem Kontrast von benachbarten Farben. Das Bild besteht aus kleinen Farbtupfern. Der Gesamt-Farbeindruck ergibt sich erst im Auge des Betrachters und aus einer gewissen Entfernung. Durch optische Verschmelzung formen sich die Farbpunkte zu Gestalten. 
Dies greift Thomas Baumgärtel auf. Aber bei ihm besteht das Bild und die Mädchen darauf nicht aus farbigen Punkten, sondern aus Bananen. Eben Bananenpointilismus
Wie Warhol möchte Thomas Baumgärtel eine große Menge an Menschen erreichen. Sein Werk umfasst neben traditionellen Staffeleibildern, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotocollagen, Wandmalerei im öffentlichen Raum auch Aktionskunst und zeigt, wie fließend für ihn die Grenzen zwischen Bildwerk und Aktion sind. Performances und Happenings, die erhebliches Aufsehen erregt haben.In erster Linie ist Thomas Baumgärtel ein politischer Künstler. Seine Bühne ist der öffentliche Raum, seine Waffe ist die Sprühdose, seine Munition – die Spraybanane.
Er nimmt Bezug auf aktuelle, brisante politische Themen, zum Beispiel die von Corona infizierte Banane, die Papstbanane usw. Hier wird seine Auseinandersetzung mit der Religion im Allgemeinen und besonders mit der katholischen Kirche deutlich. Seit Jahren kämpft er mit seinen Aktionen um die Freiheit der Kunst und auch um eine Glaubensfreiheit. Dies begann damals mit der Kreuzigung der Banane.
Ein Beispiel für eine dieser Kunstaktionen möchte ich Ihnen schildern. 1998 führte er eine Aktion mit dem Titel durch: Wir lieben die Hohe Kirche!
Dazu gab es eine eine gigantische, auffaltbare Banane für das Hauptportal des Kölner Doms anlässlich des 750-jährigen Domjubiläums. Die überdimensionale Banane drohte die Portalanlage zu sprengen. Dem Künstler ging es dabei nicht um ein provokantes Infragestellen von Religion, sondern um ein kritisches Hinterfragen der Institution Kirche.
Seit dem Ende der 90er-Jahre wurde die Sprühflasche mehr und mehr zu seinem politischen Instrument. Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York hatte er die Idee der Friedensbanane, die er an elf Kölner Kirchen und an Gebäude in New York sprühte. 2018 kämpfte er für die Verankerung der Volksabstimmung im Grundgesetz mit der vier mal fünf Meter großen Leinwand „Ohne Volksabstimmung ist alles Banane“. Und unter dem Motto „Unsere Bananenrepublik“ kommentierte er Helmut Kohls CDU-Spendenaffäre. 
„Die Banane eignet sich gut, um krumme Dinge darzustellen“, kommentiert Baumgärtel. Schon einige Werke hat er bereits gegen Putins Angriffskrieg geschaffen. Die blau-gelbe Ukraine-Solidaritäts-Banane. Im März diesen Jahres sprayte er eine Friedensbanane im Auenweg in Köln. Putin in Häftlingskleidung und Bananenkappe ist an der Fassade der Kölner Cäcilienkirche und an der Wand des Schnütgen-Museums zu sehen. Mit grimmigem Gesicht, den Körper im Streifenanzug eines Häftlings, blickt Wladimir Putin aus rund 15 Metern Höhe von einem Plakat in den Maßen zehn mal sechs Meter hinab auf die Aachener Straße. 
„Ich möchte diese Arbeit als Statement gegen den Krieg in der Ukraine verstanden wissen, in der Hoffnung darauf, dass der Diktator Putin das bekommt, was er verdient – für den Rest seinen Lebens im Gefängnis zu sitzen“, sagte Baumgärtel bei der Vorstellung des Werks, das er mit „Put in prison“ betitelt hat. „Die Frucht stelle ich normalerweise reif und prall dar“, erläuterte er. „Hier soll sie aber das übertrieben Maskuline persiflieren, mit dem sich der Machthaber sonst so gern darstellt.“ Das Plakat, das hat er und der Hauseigentümer verabredet, soll so lange an der Stelle hängen bleiben, bis der Despot im Gefängnis sitzt. 
Dass er sich mit solchen Kommentaren nicht nur Freunde macht, liegt auf der Hand. 
Ein Beispiel seiner Konsequenz möchte ich noch anführen. 2018 kam es zu einem Eklat. Auf der Art Karlsruhe präsentierte eine Galerie seine Karikatur ›Türkischer Diktator‹. Es wurde gefährlich, als er Erdogan ins Visier nahm. Anlass war die Reaktion des türkischen Präsidenten auf das Schmähgedicht des Kabarettisten Jan Böhmermann, das Erdogan auf drastische Weise verhöhnte. Und noch verärgerter war Thomas Baumgärtel aufgrund der Reaktion des Präsidenten auf den Militär-Putsch im Sommer 2016.Die Karikatur zeigte den vorgebeugten türkischen Präsidenten mit ›unten ohne‹ und einer Banane im Gesäß. Thomas Baumgärtel war klar, dass in der Türkei solche Karikaturen nicht als Recht auf Meinungsäußerung gesehen werden. Doch sein Gerechtigkeitssinn sei stärker gewesen als seine Angst. „Die Banane ist ein Werkzeug, mit dem ich Wirkung provozieren will.“ Nach lautstarken Protesten und Morddrohungen hängte der Galerist das Bild ab, Thomas Baumgärtel trennte sich von ihm und sprach von Zensur und Bedrohung der Kunstfreiheit. Man müsse gegen Autokraten Flagge zeigen.

Thomas Baumgärtels Kunst ist scharfsinnig und unbeirrt, sie regt zum Nachdenken an, kann aber auch ein Lächeln auf die Lippen der Betrachter zaubern. Das eine schließt das andere nicht aus. 
Christiane Hoffmans schreibt am 29. März 2022 in der ›Welt am Sonntag‹: Thomas Baumgärtel ist kein Zauderer. Er nutzt die gut einsetzbare Form der Frucht für seine Botschaften. Die sind mal komisch, mal unter der Gürtellinie, mal angriffslustig. Aber sie sind aufgrund ihrer direkten, plakativ dargestellten Inhalte immer leicht verständlich. Thomas Baumgärtel ist der Propagandist einer freien Welt. 
Ob Sie nun auf Konfrontationskurs gehen, ob die Werke Sie zum Nachdenken anregen, ob sie lächeln -  das müssen Sie für sich entscheiden.

Dr. Josef Glüpers, 15. Mai 2022

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