Eröffnungsrede von Anette Kuhn zur Ausstellung von
Verehrte Gäste des St. Petrus-Krankenhauses!
Kurz, nachdem Jürgen Remig von der heutigen Ausstellung erzählte, begegnete mir beim Besuch eines Konzertes in einer eher alternativen „Kulturfabrik“ ein echter Baumgärtel, wenig später am ehrwürdigen Museum Kunstpalast zu Düsseldorf ebenso, man war mittendrin im Thema, und mir wurde wieder bewusst, dass Baumgärtel eigentlich überall, wo es um Kunst und Kultur geht, schon da war! Und zwar nicht nur im Rheinland, Ruhrgebiet und Umgebung, sondern im Laufe der Jahre nahezu weltweit. Seine an die Außenfassade gesprühte, markant gelb- schwarze Banane in Pochoir- oder Stencil-Technik markiert den Ort als kunstbedeutend!
Ihr Gelb-Schwarz-Kontrast (nebenbei: Politisches Schablonendenken würde hier vermutlich fehlleiten) - steht nicht nur in der Natur für ein gut funktionierendes Warnsignal, das in Alarmbereitschaft versetzt. Baumgärtels Fassadenspraybananen versetzten mich aber auch etwa 30 Jahre zurück in die Zeit, als die Aktion des Sprayens noch ein subversiver Akt war und man beim Gang durch unsere Städte mit Spannung und Überraschung diesen Spuren illegaler Sprühkunst folgte. Da hatte einer etwas gewagt im Namen der Kunst! Ein Zeichen künstlerischen Protestes gesetzt! Gegen den „verrückten“, für einen alternativen Kunstbetrieb - sich bestärkt fühlend durch die Pioniere von Graffitti und Street Art. (Harald Naegeli, Blek Le Rat).
Dass sich die Sprayaktionen, mit denen Baumgärtel als junger Künstler sozusagen aus der Illegalität heraus begann - was den ein oder anderen Polizei- und Gerichtskontakt zur Folge hatte - in der Zwischenzeit geradezu in ihr Gegenteil verkehrt haben, weil es heute zu zigfachen Anfragen an ihn kommt, doch bitte das Haus oder Gebäude durch die Banane zu etwas Relevantem zu adeln, war damals kaum vorhersehbar.
Vordergründig könnte man meinen, dass die ursprüngliche Intention damit ad adsurdum geführt sei, wenn inzwischen der Kunstmarkt geradezu nach dem Markenzeichen „Spraybanane“ als „Gütesiegel“ giert.
Tatsächlich sind Erfolg und Anerkennung aber kein Widerspruch zu Baumgärtels ursprünglicher Intention, an Kunstorten zu provozieren. Denn nach wie vor ist er in seinen Entscheidungen unabhängig und hat seine Sprayaktionen einer Ökonomisierung vorenthalten. Und eigentlich, so wage ich zu behaupten, geht es „dem Bananensprayer“, wie er sich selbst nennt, letztlich gar nicht um „die Banane“.
Sicher kann jeder von Ihnen in Windeseile eine Reihe von Begriffen, Sprüchen oder Assoziationen abrufen, die der Banane gewidmet sind, ernsthafte ebenso wie durchaus unterhaltsame bis absurde. Mit Kunst hat das kaum etwas zu tun! Baumgärtels Forderung, in ihr gar ein Zeichen für die „Freiheit der Kunst“ zu sehen, kann doch wohl nicht nur dem Kunstwissenschaftler in höchstem Grade erregen!
Und genau das ist es: Die Banane ist so etwas wie ein Ausrufezeichen! Sie weckt oder regt auf - ist damit Werkzeug, nicht Ziel.
Das liegt dahinter: im Aufzeigen von Mechanismen des Umgangs miteinander im weiteren gesellschaftlichen Kontext. Dafür nimmt Baumgärtel seinen Kunstkontext als Blaupause.
Er betrachtet die Reaktion der Menschen auf seine Banane als „Test“ - vergleichbar mit der Auslegung eines Rohrschachtests, wie er ihn während seines Psychologiestudiums einsetzen lernte, und leitet aus dem Verhalten des Probanten Schlüsse auf die Einstellung zur oder Umgangsweise mit der Kunst ab - und die führt dann weiter ...
Jedes Auftauchen der Banane ist an eine Aktion gekoppelt, nicht nur im Akt des Sprühens, mehr noch bei Demonstrationen im öffentlichen Raum: Spraybananen all over Fassaden, auf Straßenbahnen, als riesiges Objekt vor dem Kölner Dom (1998 anläßlich des 750-jährigen Domjubiläums), Projekte einer Banane auf einem Dortmunder Hochofen anläßlich der Ruhrtriennale („Phoenix aus der Asche“ 2008-10) oder überdimensioniert querliegend das Brandenburger Tor füllend, ein Projekt, das Baumgärtel schon über 15 Jahre beschäftigt. (2000).
Mit Spraybananen oder Bananen-Objekten setzt er ein Statement im öffentlichen Raum und provoziert Reaktionen. Die mögen Zustimmung oder Begeisterung über ein prägnantes Signal in Stadt und Bild sein, es mag Verärgerung über vermeintliche Banalität oder Unernsthaftigkeit sein oder die Freude ob einer markanten Pointe! Können Sie umhin, Stellung zu beziehen in Hinblick auf politische oder gesellschaftliche Ereignisse, wenn Ihnen in den Zyklen „Deutsche Einheit“ oder „Blühende Landschaften“ (aus den frühen 2000er Jahren in Zusammenarbeit mit Künstler- und Atelierkollegen Harald Klemm entstanden) rosarote „Bananenröschenprints“ ins Brandenburger Tor verwebt entgegenleuchten oder die Deutschlandfarben mit Golf- und Trabi- und Bananenprints daherkommen, wenn der Bundesadler (2007) gefährlich gelb-schwarz und die Flügel „schwungvoll-bananig“ geraten? Kommen Sie bei der Aktion des Hissens der Flagge mit „Friedesbanane“ am Tag des Ausbruchs des Irakkriegs 2003 (am 19.3. auf dem Hoteldach Arte Luise in der Nähe des Reichtstags, Berlin) um eine Auseinandersetzung herum?
Worum geht es bei all dem? Sicher nicht darum, der Tropenfrucht ein Denkmal zu setzen!
Nach dem Bauprinzip der klassischen Fabel von actio und reactio initiiert Baumgärtel mit seinen Arbeiten Denkprozesse, die auf Kunst und Gesellschaft gleichermaßen reflektieren. In dialogischer Struktur vernetzt er Kunst/Künstler und Betrachter sowie die Mechanismen des Kunstmarkts mit gesellschaftlichen Fragen. Anders als bei einer Fabel jedoch, darf man bei ihm kein ein Moralisieren oder gar Belehren erwarten. Weder gibt er eine conclusio vor, noch will er überzeugen. Baumgärtel setzt auf den autonomen Geist.
Wie grundlegend diese seine Herangehensweise an Kunst ist, zeigt sich, wenn man auf die Anfänge schaut. Anschaulich kann Baumgärtel erzählen, wie er 1983 als junger Mann bei der Suche nach einem für ihn passenden Beruf - der Vater wollte, dass er Medizin studierte - auf die Banane kam. Viele von Ihnen werden die Geschichte kennen - deshalb hier nur kurz und knapp:
Während seiner Zivildienstzeit in einem katholischen Krankenhaus war ein Kreuz von der Wand gefallen, der Porzellankorpus zerbrochen. Baumgärtel setzte es auf seine Art wieder instand, indem er die entstandene Leerstelle mit einer zufällig vorhandenen Banane füllte, die er nachahmend drapierte. Was zunächst als jugendlicher Nonsens daherkommt und auch hätte bleiben können, war für ihn der Moment, wo ein Funke springt, denn er setzte Reaktionen frei: von humorvoller Zustimmung bis dem Vorwurf der Blasphemie, wie man sich denken kann.
Die am Kreuz fixierte Banane bzw. Schale ist als pflanzliches Produkt der Veränderung unterworfen, besitzt, je „dröger“ sie wird, einen unerwarteten und überraschenden ästhetischen Reiz, wirkt zart und verletzlich. Aber für den Betrachter hat sie auch den Reiz des Frechen, Unangepassten - einen besonderen „Witz“, wie er in der bildenden Kunst selten anzutreffen ist - wie etwa bei dem großen Dadaisten Marcel Duchamp. Und „Witz“ (im Sinne von Geistesblitz) ist es auch, der eine Reihe von Arbeiten aus dem „Medizinischen Block“ prägt, deren prägnanteste Form: die „Äskulapbanane“. Leicht und elegant macht sie in ihren vielfältigen Erscheinungsformen dem Original alle Ehre.
In den 90er Jahren entstehen die medizinischen „Bananenmetamorphosen“, die Baumgärtel als sein „bildhaftes Tagebuch“ bezeichnet. Eine erste war die Symbiose von Banane und Magen. Schematisch reduziert vereinen sich beide Formen zu einem neuen piktogrammartigen Zeichen, dem man durchaus in der Klinik eine Funktion zuweisen könnte, sicher zum Vergnügen der Patienten.
Manchmal mehr Mutation als Metamorphose vermitteln sie eine fast kindliche Freude ob der Vielfalt der Verbiegungen, die der Künstler dem Motiv zumutet. Kaum ein Organ oder Körperteil, das oder der sich nicht eignen würde, seinen „Tanz“ mit der Banane aufzunehmen - humorvolle Chiffren Ihres Berufsspektrums, übrigens auch für die Juristerei.
Aber was haben die Medizin und Kunst gemeinsam - über die frühen Erfahrungen des Künstlers hinaus? Beide begegnen dem Menschen zumeist auf einer essentiellen, auch existenziellen Ebene. Auf unterschiedliche Weise berühren sie auch die Tiefe menschlichen Daseins. Ihnen als Medizinern ist das tägliches Brot, ob im Operativen oder dem Gespräch mit dem Patienten.
Aus dem Jahr 1986 stammt die Serie von großformatigen Leinwandbildern - noch ohne Banane -, auf denen der „Medizinische Block“ aufbaut. Sie zeigen formatfüllend in unterschiedlichen Konkretheitsgraden einen menschlichen Schädel und öffnen zugleich den Blick ins Innere: Zum Organischen, normalerweise Verborgenen - einerseits: zu Augapfel, Rachen mit Luft -/Speiseröhre; Rückgrad. Der Laie spürt mit Neugier Anatomischem nach, den Fachmann werden sie an Vertrautes von Operationen oder Röntgeneinblicke erinnern. Wenn Baumgärtel experimentiert und die Farbpigmente mit PVC und Weichmachern oder durch Zugabe von Sand und Beton verdickt, dann suggerieren sie ein zähes Fließen oder Stocken, Trocknen wie bei Körperflüssigkeiten, lassen an Hirnmasse denken. Wie Adergespinste wirken feingliedrige rote Kritzeleien mit dem Pinsel.
Andererseits - und das macht den Zugang des Künstlers aus, führen sie auf eine tieferliegende Ebene von Innenleben: Kräftige intensive Farben, wobei Rot eine dominante Rolle spielt - (Die Assoziation Blut drängt sich auf) - zum Teil mit expressivem Duktus und pastos aufgetragen, aber in anderen Feldern auch geradezu sanft fließend und lasierend bis sich auflösend, wecken - jenseits des Physiologischen - Assoziationen an Emotionales oder Seelisches. Aggression, Leiden und Schmerz werden sichtbar gemacht und spiegeln Zustände menschlicher Existenz.
Für diese Bilder muss man sich Zeit nehmen. In ihrer farblichen Differenziertheit erinnern sie mich an die Portraits von Francis Bacon, dessen bekannte „Studie nach Velázquez Porträt von Papst Innozenz X“ aus dem Jahr 1953 vielleicht dem ein oder anderen von Ihnen in Erinnerung ist. Mit seinen Verzerrungen der Pysiognomie und abstrakten Übermalungen legt Bacon jenseits eines klassischen Portraits Seelenzustände frei. Diese Verletzlichkeit des Menschen findet sich auch in den aquarellartigen Collagen von Baumgärtel aus dem Jahr 1988. Die verzerrten Körper in brauner Beize gemalt, in Kombination mit Textfragmenten oder handschriftlichen Kommentaren zeigen Zustände oder das Erleben von Patienten von Krankheit und Krankenhaus. Die Figuren, keine Individuen, sind durchnummeriert, skelettartig reduziert, wie alleingelassen. Aber mit den teils humorvollen, teils kritisch-makabren Kommentaren zeigen sie Momentaufnahmen des Krankseins und gehen auf authentische Erfahrungen des Künstlers in der Klinik während seine Psychologiestudiums zurück. Auch die schwarz-weißen „Spraygramme“, eine Wiederaufnahme und Erweiterung der Technik der Fotogramme oder Rayogramme, wie sie die Künstlern des Bauhauses herstellten, sind Teil des „Medizinischen Blocks“, diesmal nicht auf den Menschen bezogen, sondern aufs Handwerkliche.
Medizinische Gerätschaft wie zufällig angehäuft, liegt auf unterschiedlichen Bildebenen. Die Spraygramme spielen mit dem Verbergen und Offenlegen. Manches wirkt wie unter einer Nebel- oder Eisschicht fixiert, anderes rückt scharf und nah an den Betrachter heran und wird bei dem ein oder anderen Erinnerungen an medizinische Eingriffe mit solchen Geräten wachrufen.
Abschließend: Der „Medizinische Block“ hat in Baumgärtels Gesamtoeuvre eine herausragende Bedeutung. Mit den frühesten Arbeiten legt er einen Grundstock, der thematisch gebunden, ein breites Spektrum an Techniken und Motiven ermöglicht, das bis heute nicht abgeschlossen scheint. Die Banane scheint so etwas wie ein reproduktionkräftiger nucleus!
Ganz zum Schluss möchte ich Sie teilhaben lassen an einem aktuellen Blick ins Atelier des Künstlers bei meinem Besuch dort auf ein Bild, das vor zwei Wochen nahezu fertig war: Sattblauer Idyllenhimmel, darin schwebt mit geradezu anmutigem Schwung eine Riesenbanane vorbei - wenn man nicht sähe, wie sie unter der Last eines Kim Jong-un sich krümmt, und er sie zügelhaltend zur Rakete mutieren lässt. Schauer oder Vergnügen? Entziehen kann man sich kaum!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, ich wünsche Ihnen viel Vergnügen in der Ausstellung!
Dr. Anette Kuhn