Eröffnungsrede gehalten zur Ausstellung Thomas Bau

Eröffnungsrede gehalten zur Ausstellung „Thomas Baumgärtel. Bananenenzyklopädie“ Museum Goch, Sonntag, den 27. Januar 2008, 15 Uhr.

Thomas Baumgärtel ist weitaus mehr als nur Maler im klassischen Sinne. Sein intermediales Werk umfasst neben Zeichnungen und Druckgrafiken auch Fotocollagen, neben Übermalungen von Fotos auch Übersprühungen von „Alte Meister“-Gemälden und von Objekten. Er hat sich keineswegs nur mit dem traditionellen Staffeleibild, sondern auch intensiv mit der Wandmalerei im öffentlichen Raum, ja sogar mit der Glasmalerei beschäftigt. Und so haben sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre manche Bananenberge an Häuser- und Fabrikfassaden aufgetürmt, die inzwischen das Gesicht unserer Region mitprägen.

Während einiger meiner Reisen ging es mir manchmal wie dem Hasen im Grimmschen Märchen vom Wettlauf des Hasen mit dem Igel. In Moskau, New York, Paris oder Wien begrüßte mich die Banane: ‚Ich bin schon längst vor dir da’. Damit nicht genug, die breite Palette des künstlerischen Schaffens von Thomas reicht bis in die Aktionskunst und zeigt, wie fließend für ihn die Grenzen zwischen Bildwerk und Aktion sind. Neben seinen subversiven Sprayaktionen haben seine Performances und Happenings, besonders die mit einer dinosaurierartigen Banane, einer überdimensionalen, auffaltbaren Bananenskulptur auf Rädern, erhebliches Aufsehen erregt. Bis heute wartet die Aktion „Banane im Brandenburger Tor zu Berlin“ auf ein Startzeichen. Ich drücke Dir fest die Daumen, dass es bald losgehen kann.

Im Bereich der Objektkunst aber mag der Künstler im Laufe der letzten 25 Jahre vielleicht das facettenreichste Werk innerhalb seines Œuvres geschaffen haben. Es reicht vom Multiples eines übersprühten Telefonbuchs („Gelbe Seiten“, 2002) bis zur zertrümmerten Betonbanane im Reagenzglas („Bananensplit 1+2“, 2000). Eine Auswahl davon ist in Editionen greifbar und erfreut Sammler mit kleinerem Portemonnaie.

Alles in allem kann man sagen, Thomas Baumgärtel hat auf fast enzyklopädische Weise ein umfassendes System bildnerischer Praktiken entfaltet, das von einem unermüdlichen Schaffensdrang zeugt. Dies mag wohl auch den Ausschlag für den Titel der Ausstellung „Bananenenzyklopädie“ gegeben haben.

Folgt man Meyers Universallexikon bedeutet Enzyklopädie die umfassende Lehre aller Künste und Wissenschaften, im Besonderen die Darstellung der Grundbegriffe einer einzelnen Kunst oder Wissenschaft unter dem Gesichtspunkt des sie durchdringenden obersten Lebensprinzips“.[1]

Thomas Baumgärtel hat für dieses Lebensprinzip ein für alle lesbares Zeichen, ein fröhliches, lustvolles Signet gefunden, die Banane.

Wenn man wie ich das Glück hatte, seit mehr als 25 Jahren Werden, Wandel und Wirken von Thomas’ Schaffen aus nächster Nähe zu verfolgen, ein Schaffen, das mit Humor und Satire gewürzt ist, aber keineswegs der Selbstironie entbehrt, ein Schaffen, das von Angriffslust und Rebellion zeugt, aber auch findungsreich das Selfmanagement im Auge behält, dann sei einmal eine kontroverse These erlaubt: Im Werk von Thomas Baumgärtel geht es nicht wirklich um die Banane.

Sein Ziel ist nicht – wie ich es einmal nennen möchte – das „wieder-erkennende Gegenstandssehen“[2] einer Banane, nicht die Nachahmung der schnöden Dingwelt, das wäre zu banal, sondern ihn interessieren vorrangig übergreifende Phänomene, die die Wirkungsmacht der Kunst berühren. Je profaner aber der dafür verwendete Gegenstand ist, desto mehr ist er prädestiniert, unsere Anschauung zu stimulieren und unsere Wahrnehmung zu intensivieren. Ein Künstler wie Thomas Baumgärtel, der sich mit wahrnehmungspsychologischen Fragen intensiv auseinandergesetzt hat, weiß dies sehr wohl. Und er ist sich bewusst, dass Anschauung von Kunst immer bedeutet, sich auf einen endlosen Prozess eines sich immer neu konstituierenden, vorbegrifflichen Sehens einzulassen. Einfach ausgedrückt, Kunstanschauung heißt sich einlassen auf das Abenteuer des Sehens, auf vorurteilsfreie, permanente Augenlust.

Nur nebenbei bemerkt, ich glaube, dass in dieser Prozesshaftigkeit des Sehens einer der tieferen Gründe für sein serielles Arbeiten zu suchen ist.

Aber es liegt ganz an Ihnen, meine Damen und Herrn, was Sie Wahr-nehmen, im Sinne von „Für-wahr-nehmen-Können“[3]: Denn je weniger Sie nur das Altbekannte im Bild wiederfinden wollen, desto tiefer können Sie in die erkennende Ein-Sicht ins Werk einsteigen. Wenn Sie also die Werke von Thomas Baumgärtel näher betrachten, widerstehen Sie einmal dem Versuchung, nur die Banane zu sehen, lassen Sie sich mal vom Unbekannten, Fremden überraschen. Denn tatsächlich entwickelt sich die Wirkung seiner Kunst vor allem aus der psychologischen Inanspruchnahme des Betrachters, aus dem Spiel mit seinen Assoziationen, seinen Sehnsüchten, seinen Wunschvorstellungen und seinem Unbehangen.

So wie ich also behaupte, es geht hier nicht wirklich um die Banane, müsste ich ebenso gut sagen, es war reiner Zufall, dass ausgerechnet eine Banane 1983 während seiner Zivildienstzeit im Rheinberger Krankenhaus zum Medium seiner ersten dadaistischen Aktion „Bananenschale am Kreuz“ wurde.

Tatsächlich stand damals die Aktion, besser der kreative Impuls, und nicht das Material, eben zufällig eine Bananenschale, im Vordergrund. Ich bin davon überzeugt, es war auch keine bewusste Tabuverletzung, kein Akt von Blasphemie, der dazu führte, dass der angehende Künstler einem Kruzifix eine Bananenschale anheftete. Ich denke, ihm wurden auch erst im Laufe des Prozesses, in dem die saftigen Schale zunehmend vertrocknete und sich in eine dunkelbraune Mumie verwandelte, die übergreifenden Sinnbezüge bewusst. Damals mag der Künstler gespürt haben, dass mit seinem Eingriff in die festgefügte Form eines Kreuzes mit Hilfe eines ungestalteten Abfallsprodukts eine fundamentale Dingverwandlung eingeleitet worden war. Im Trocknungsprozess gewann die Fruchtschale mit ihren schlaksigen Ärmchen und Beinchen menschliche Züge und wandelte sich vom wertlosen Naturprodukt zu einem würdigen Äquivalent für den Christuskorpus. Nun war das Kruzifix nicht mehr auf endgültige, unveränderliche Dauer angelegt, sondern das vom Fruchtfleisch gelöste Präparat, die Schale, nahm selbsttätig am Umwandlungsvorgang des Werdens und Vergehens teil. Fortan wurde für Thomas Baumgärtel die Banane als künstlerisches Kondensat für die Verlebendigung des Seins zu einem andauernden Faszinosum. Dies war die Initialzündung für sein Großprojekt Banane, das Thomas nun mit beispielloser Energie vorantrieb.Aber auch die Affinität für das Motiv des Kreuzes hält bis heute an und zeigt sich in einer Reihe von großformatigen Gemälden zum Thema „Heilige Bananenschale“ oder „Kreuzigung“ aus dem Jahr 2004.

Vertraute Objekte aus seinem Lebensraum, Kisten, Koffer, Schränke, Sofas, Stühle oder Fernsehbildschirme reiht Thomas in seinen Bananenkosmos ein. Nicht wie Marcel Duchamp erklärt er das ungestalte Ready made einfach zum Kunstwerk, sondern er löst es durch Übersprühung oder auch Vergoldung aus seinem normalen Funktionszusammenhang heraus und überführt es in einen neuen Sinnzusammenhang. Das All-over der Spraybanane sorgt dafür, dass die ursprüngliche materielle Präsenz des aufgefundenen Objekts in den Hintergrund tritt, stattdessen wird es zur strahlend gelben Energiekonserve. Man könnte auch sagen, der Künstler überschreitet die Grenzen seiner Leinwand, greift sprayend in den Raum ein, sprengt sogar die Grenzen seines Ateliers, um sich im Außenraum neue, nahezu grenzenlose Malgründe zu suchen, denken Sie an seine riesigen Wandmalereien auf Brücken und Fabrikhallen.

In der Ausstellung ist es gelungen, die Entwicklungslinie und Anverwandlungen der Banane als Grundformel eines künstlerischen Gesamtwerks der letzten 25 Jahre offen zu legen. Es wird die Herausbildung einer universellen Bildsprache, in der die Banane sowohl Zeichen als auch Bezeichnendes ist, an Hand von dreidimensionalen Objekten in Objektkästen und Assemblagen, als auch in der Malerei und in der Spraykunst veranschaulicht. Mit der Banane, die im Grafitti auf wenige Umrisse kongenial verkürzt ist, entsteht durch das Negativ der Schablone das Positiv eines Pattern, d.h. eines Musters, einsetzbar für alle Gattungen der Malerei, dem Geschichtsbild ebenso wie der Vedute von Köln, dem Bildnis wie auch der Landschaft.

Am Anfang des künstlerischen Werdegangs von Thomas Baumgärtel standen also vor allem die Aktion und das Objekt, bis heute sind es die wesentlichen Referenzgrößen seines künstlerischen Schaffens geblieben. Schon damals ging es um Aktionskunst im besten, eben im Beuysschen Sinne, nämlich um den Versuch, die Grenzen zwischen Kunst und Leben zu überbrücken, ja sogar aufzuheben. Kunst in den öffentlichen Raum zu tragen, Fassaden von öffentlichen und privaten Häusern, von Brücken oder Türmen, von Außenhäute der Galerien und Museen zu Bildträgern seiner Kunst zu machen. Sich aber auch dem öffentlichen Dialog mit Passanten, Galeristen, der Staatsgewalt oder den Vertretern der öffentlichen Hand zu stellen, das macht ein wichtiges Merkmal seines Kunstschaffens aus. Wenn beispielsweise Obdachlose von der Kölner Domplatte vertrieben werden, scheut der Künstler die Konfrontation mit der Kirche nicht und erzwingt symbolisch die Öffnung des Gotteshauses, indem er das Haupttor mit einer gigantischen Bananenskulptur quasi penetriert.

Auch wenn viele seiner rebellischen Aktionen frech, spitzbübisch, subversiv oder auch karnevalesk in Erscheinung treten, dann darf man den ernsten Kern seines künstlerischen Kredos nicht verkennen: Es geht Thomas Baumgärtel um die Freiheit des Menschen und die Freiheit der Kunst.

Diese Antinomie zwischen spielerisch-theatralischer Inszenierung und ernstem Anliegen kommt in seiner Performance „Deutsche Freiheitsstatue“ treffend zum Ausdruck. Davon überzeugt, dass sich die Kunst in einem fortlaufenden Prozess befinde, übersprühte der Künstler eine Betonskulptur seines Fluxus-Kollegen Vostell mit Spraybananen. Dieser wehrte sich vehement gegen den Übergriff, ganz im Widerspruch zu seiner künstlerischen Programmatik, dass Fluxus eine Kunst des Wandels sei. Daraufhin besetzte Thomas Baumgärtel, verkleidet als us-amerikanische Freiheitsstatue mit langer Bananenschleppe, den Vostellschen Betonblock mitten im Strom des Kölner Verkehrs und hielt die Fackel der Freiheit gen Himmel.

Nicht nur im Versuch Kunst und Leben zusammenzuführen, auch in der Vorstellung von der Banane als Lebensspender und Energiespeicher oder ebenso im Blick auf die Bananenkreuze in Objektkästen könnte man annehmen, Joseph Beuys habe Thomas Baumgärtel Pate gestanden. Analogien bestehen z.B. im wunderbaren frühen „Christus in der Zigarrenschachtel“ von Beuys aus dem Jahr 1949. In den 1980er Jahren aber hatte der zwanzigjährige Zivildienstleistende noch keine Berührung mit Beuys. Später allerdings nahm Thomas unmittelbar Bezug z. B. auf den „Filzanzug“ von Beuys von 1970. Allerdings sind die beiden Bananenanzüge aus Jute oder Baumwolle keine Multiples, sondern maßgeschneiderte Einzelstücke, die Thomas bisweilen während seiner Aktionen trägt. Dagegen hat Beuys seinen Filzanzug nie als Gebrauchgegenstand, sondern nur als künstlerisches Objekt und Metapher für einen Wärmespeicher verstanden.

Dennoch ist die Verwandtschaft mit der Beuysschen Materialästhetik und Materialikonologie unverkennbar, sie wurzelt vielleicht in der gleichen Herkunft beider, dem katholisch geprägten Niederrhein.

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