Die Spraybanane / Zur Wirkungsgeschichte einer Kun
Andy Warhol hat uns die Suppendose geschenkt, genauer gesagt: wiedergeschenkt. Zunächst in gemalter Version, linkisch korrekt wie ein biederer Plakatmaler (sofern nicht - wie eigentlich immer bei Warhol - wohlkalkuliertes Understatement zu unterstellen ist), bald dann siebdruckschabloniert, mit stumpfen Glanzlichtern schwerfällig ornamentierten Schriftzügen und eher verhaltenen Rot- und Gelbtönen: Eblemata eines künstlerisch überhöhten Massenkonsumgutes, das - aus heutiger Sicht - in rührender Einfalt für das Credo an ein Alles-für-Jeden der 60er und 70er Jahre einsteht. Die in den Auslagen der Kaufhäuser massenakkumulierte Suppendose hat das Stilleben alter Ordnung mit all seinen ihm im Verlauf der Jahrhunderte zugewachsenen Implikationen abgelöst. Es hat die symbolträchtig arrangierten „Eatables“ durch Sortier-, Wasch- und Abfüllanlagen gejagt, versiegelt und - das Wichtigste - etikettiert. Dabei ist der Inhalt zusammengeschnurrt und hat sich auf die Oberfläche einer Papierform verflüchtigt: Chiffrenhafter Schatten seiner selbst, Markenzeichen eines Markenzeichens.
Und dann die Banane! Wen nimmt es Wunder, daß es wieder Warhol war, der ihr zu künstlerischen Weihen verhalf? Erinnerte sich Claes Oldenburg ihrer „nur“ als skulpturaler Großform, die seit den 60er Jahren über einem Lagerhaus im Osloer Hafen schwebt und dort auch heute noch zu sehen ist, so nobilitiert Warhol diesen Inbegriff der exotischen Frucht, indem er sie in bewährter Weise zum zentralen Motiv auf ansonsten unbelebter Bühne erhebt.
Geschaffen wird dieses Sujet freilich für das Cover einer Langspielplatte von „Velvet Underground“ ( 1966), zur künstlerischen Ausgestaltung und dienenden Umschreibung eines anderen zeitgenössischen Mediums: der Pop Musik, konserviert im schwarzen Rund der Vinylscheibe, eingetütet und folglich ebenfalls etikettiert im Quadrat des Pappcovers. Eine angewandte Kunst also, was aber bei Warhol, dem wandlungsfähigsten Chamäleon unter den Grenzgängern zwischen den zeitgenössischen Ausdrucksformen, nicht automatisch auf mindere Wertigkeit schließen läßt.
Mit der Banane, die beim besten Willen nicht in irgendeinen inhaltlichen oder programmatischen Einklang mit Band oder Songthemen gebracht werden kann, bricht Warhol rigoros mit den Darstellungsformen herkömmlicher Covers und apostrophiert in einem Willkürakt ein Nonsense-Symbol. Der Künstler stellt eine Verbindung her, die der Ratio spottet, unterläuft Erwartungshaltungen, unterminiert die Ernsthaftigkeit und Glaubenswürdigkeit von Informationsträgern, konterkariert Produktionsgestaltung, stellt Werbebotschaften in Frage. Einzig denkbare Konnotation: Die exotische Frucht auf weißem Grund steht rätselhaft fremd für eine vielen gleichermaßen fremd anmutende Musikrichtung. Und dabei beläßt Warhol es dann auch. Die Banane verschwindet wieder sang- und klanglos aus der Welt der Kunst und zieht sich in die angestammten Stellungen als nährstoff- und vitaminreiche Südfrucht zurück...
... um sich 1986 wieder aus der Deckung herauszuwagen: Zaghaft zunächst und auf die Kölner Topographie begrenzt, erobert sie im Dunkel der Nächte grauer Städte Mauern, nistet unversehens neben Eingängen und Schaufenstern, Foyers und Firmenschildern. Leicht überlebensgroß, in charakteristischer Krümmung, ein Prachtexemplar ihrer Gattung, prangt sie, schwarz konturiert, in leuchtendem Gelb auf Stein und Beton, Edelstahl und Holz.
Zunächst dürfte sie - außer den Hausbesitzern - kaum jemandem aufgefallen sein, allein die Tatsache, daß sie nur an den Fassaden von Galerien, Museen und anderen, der Kunst verpflichteten, Institutionen anzutreffen ist, läßt aufmerken. Sollte die mittels Schablone aufgesprühte Banane gar mit Kunst zu tun haben?
Daß dem so war und noch ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen, und auch ihr Autor, Thomas Baumgärtel, ist längst enttarnt bzw. aus dem Schatten subversiver Umtriebigkeit herausgetreten, ja, die Banane hat längst etliche Portale und Türen an denen sie „Duftmarken“ gesetzt hatte, durchschritten und die Wände jener Stätten in Beschlag genommen, die sie zuvor nächtens „inkriminiert“ hatte.
So gilt es festzuhalten, daß seit einigen Jahren das Bild der gelben Frucht in die Kunstmetropolen der westlichen Hemisphäre ausgeschwärmt ist und Orte der Kunst akzentuiert hat, sich daheim im Atelier aber zugleich zu neuen, anderen Bildern verdichtet hat: Eine Omnipräsenz in der weltumspannenden Vereinzelung wie in der formgebenden, neue Motive kreiierenden Zusammenrottung.
Mit der vereinzelt auf die Fassaden von Ausstellungshäusern gesprayten Banane knüpft Baumgärtel entwicklungsgeschichtlich bei Warhol an. Wie dieser, schafft er per Willensentscheid einen neuen, artifiziellen Kontext, indem er zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Bedeutungsebenen einen Zusammenhang herstellt, der rational nicht nachvollziehbar ist. Tatsache ist, daß zwischen dem Abbild einer Banane und einer Institution, die zeitgenössische Kunst ausstellt, nicht der geringste Zusammenhang besteht ( Der auf Genauigkeit bedachte Chronist hält an dieser Stelle inne und schränkt ein: „jedenfalls bis 1986“ ).
Nicht von ungefähr hat Thomas Baumgärtel von Beginn an seine Bananen-Signets auch und vor allem Galerien appliziert. Und nicht von ungefähr begann dies zu einer Zeit, die durch einen wahren Gründerzeitboom an Galerien - zumal in Köln - gekennzeichnet war. Eine Galerie für Gegenwartskunst ist zunächst und zuallererst nichts anderes als ein leerer Raum und die unausgesprochene Willenserklärung eines selbsternannten Kunstliebhabers, dieses Vakuum mit bildnerisch-materialisiertem Anspruch zu füllen. Daß damit auch noch Geld verdient werden soll, rückt dieses Unterfangen dem Versuch nahe, die Quadratur des Kreises zu wagen. Ein namensgebendes Schild kündet von Firmensitz und Kunstwollen. Glaubwürdig und nachvollziehbar wird der Anspruch erst im Verfolg eines Programmes, also erst nach Jahren. Bleibt der wirtschaftliche Erfolg oder eine anderweitige Alimentierung aus, löst sich das hochgemute Vorhaben in Nichts auf, was gelegentlich auch ein hervorragendes Ausstellungsprogramm nicht verhindern kann. In diesem Fall, der zweitbesten aller Möglichkeiten, ist die Grundlage für eine Legende gegeben. Im drittbesten Fall spricht man - mit den Worten Theo Lambertins - vom „Grab des unbekannten Künstlers“. Der beste Fall ist so selten wie ein weißer Rabe und gereicht dem Galeristen zu Ruhm und - in der Regel magerem Auskommen. Eine den Laien Staunen machende Tatsache ist, daß die „Halbwertzeiten“ anspruchsvoller Gegenwartskunst oft umgekehrt proportional zur Überlebensdauer der sie promovierenden Galerien stehen.
Obwohl der Kunstort „Galerie“ die erste institutionalisierte Rezeptionsebene für zeitgenössische Kunst darstellt, ihr infolgedessen eine große Bedeutung als Informations- und Inspirationsquelle für den Kunstinteressierten zukommt, sie sich überdies flächendeckend zumindest in großstädtischen Bildungskontexten etabliert hat, stellt sie sich selbst für Bildungswillige oft genug als „Unraum“ dar: Die zumal in den 60er Jahren vielzitierte Schwellenangst, damals im Zusammenhang mit der Öffnung der Museen für eine breitere Öffentlichkeit diskutiert, lebt fort und wird durch Kunstwerke und die sie charakterisierenden Begriffsbildungen genährt, die in der Tat Vorkenntnisse vorraussetzen.
Thomas Baumgärtel wußte zweifelsohne um diese Hintergründe, als er 1986 seine erste Banane auf das Portal eines „Kunsttempels“ sprühte. Er wußte, daß diese durchaus profanen Mauern, „geadelt“ allein durch den schildgewordenen Anspruch, ein Hort der Kunst zu sein, dem Gezeigten jene Nobilitierung zuteil werden ließ, der die ausgestellten Kunstwerke ( kraft Willensentscheid und Handanlegung ihrer Autoren, der Künstler also, bereits aus der Ebene der Profanität hervorgehoben ) auf dem Wege der Kanonisierung bedürfen. Er wußte um die sinnstiftende und sinntragende Funktion der Institution „Galerie“, um die Notwendigkeit, der auf den ersten Blick oft kruden, rüden, unscheinbaren, verhaltenen, aber auch plakativen, dissonanten und widerborstigen, kurz: ungewohnt einherkommenden bildnerischen Interpretationsmodellen des Hier und Jetzt einen Rahmen zu geben. Einen Rahmen, der Abstand hält und Nähe schafft, der ausgrenzt und pointiert zugleich. Baumgärtel unterstützt und umspielt diesen Findungsprozeß, indem er Kunstetiketten appliziert, keine beredten Sachhinweise über Inhalt oder Verfallsdaten, sondern verklausulierte, das Bezeichnete kongenial verunklärende Verrätselungen: Ein absichtvolles Spiel mit dem - vordergründig - Absichtlosen, ein Rätsel den Rätseln beigegeben, ein weiteres Knäuel am Ariadnefaden.
Die Banane warnt: „Vorsicht Kunst! Betreten auf eigene Gefahr! Künstler und Galeristen haften nicht für ein abhanden gekommenes Selbstverständnis! Vorgefaßte Meinungen sind an der Kasse abzugeben! Keine Gewähr für selbstverschuldete Erschütterungen! Aber auch: „ Es darf geschmunzelt werden!“.
Es ist eine mittlerweile allseits bekannte und weitestgehend akzeptierte Tatsache, daß sich die Kunst des 20. Jahrhunderts - analog zu der Diversifizierung anderer gesellschaftlicher Aufgabenbereiche - auf die bildnerische Durchformulierung sehr spezifischer Themenstellung spezialisiert hat: Im Gefolge der Abstraktion wurden Farbe, Formen und Volumina thematisiert, Maß und Einheit durchdekliniert, Ideen und Begriffe versinnlicht, Zeit- und Handlungsabläufe anschaulich gemacht und Attituden kultiviert - um nur einige künstlerische Wirkrichtungen zu skizzieren. Seit ungefähr drei Jahrzehnten wird auch die künstlerische Betätigung an sich, vor allem aber auch der Wirkrahmen, in dem Kunst sich ereignet, hinterfragt und zugleich verbildlicht, ja in der extremen Exegese dieser Selbstbefragen wird der Künstler in persona Medium und Botschaft zugleich - man denke zum Beispiel an Aktionen von Joseph Beuys und James Lee Byars.
Thomas Baumgärtel reiht sich ein in diesen Kontext der Befrager und bildnerischen Kommentatoren. Sprachlos, weil kein Literat, stumm, weil kein Sänger, unaufgeregt, weil kein Performer, unpathetisch, weil kein Schauspieler. Er thematisiert Markenzeichen für Kunst. Wie der Teufel das Weihwasser meidet er Objektivität, entzieht sich der Eindeutigkeit, enthält sich des Kommentars, widersteht der Vereinnahmung und bleibt auf Distanz.
Fröhlich-ironisch verschwistert sich die Banane mit den Zufälligkeiten der kunstbehausenden Institutionen, ein Dorn im Auge ordnungsliebender Hausmeister und bierernster Kunstverweser. Manchem Museumsdirektor als zu fürchtender Präzedenzfall ein Ärgernis, denn auch Museen wurden solcherart ausgezeichnet, schließlich fungieren auch sie und vor allem sie als bedeutungsstiftende Aufführungsorte für jene Kreationen, die - ob man will oder nicht - zum Marsch durch die Institutionen antreten.
Aber auch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wie in jeder echten Symbiose profitiert auch die schablonisierte „Kunstmarke“ von der Magie der Orte, die sie bezeichnet und wird beziehungslos, wenn mit dem Kunstraum der Kunstkontext verlorengeht. Müßig zu betonen, daß ihr dann ordnungsliebende Kräfte schnellstens den Garaus machen.
Wie bereits angedeutet, hat Baumgärtel seit einiger Zeit die gelb-schwarze Frucht gleichsam zu konzentrierten Aktionen auf Bildformaten versammelt. Von Galerien und Museen aus aller Welt sind sie herbeigeeilt und haben sich zu Motiven wie „Goethe“, oder „Dürer´s Hase“ gruppiert, „richtigen“ Bildern auf Leinwand, die in der Art des Giuseppe Arcimboldo aus der Anhäufung von Einzelgegenständen Bilder „von etwas“ erstehen lassen, wobei allerdings der hier angesprochene Früchtemix allein auf dem Gütesiegel der Banane basiert.
Neben diesen Neuinterpretationen von Weltinterpretationen berühmter Kunstvorsassen hat Baumgärtel zahlreiche Motive geschaffen, die auf Fotos in Zeitungen und Zeitschriften rekurrieren. Diese Ikonen der Zeitgeschichte, die sehr wohl eine dezidiert politische Aussage transportieren können, erstehen aus einer Verknüpfung von Bananentexturen, die wie ein bewegtes schwarz-goldenes Raster die Figurationen einbinden, wobei die Grenze zwischen Wiedererkennbarkeit und Verflüchtigung ständig in der Schwebe zu sein scheint. Wie durch eine Folie gesehen, entblößt der „Bananenfilm“ die Bildinhalte bis auf die Knochen, „überzuckert“ sie aber zugleich mit einer Kunstschicht, die als Phrase enttarnt , was als Haltung angetreten ist - wie etwa bei einem Hitler-Bild. Und bei dem „Bananenbomber“ oder anderen Kriegsszenerien verdichten sich die schwarzgeränderten Bananensilhouetten zum unheilverheißenden Menetekel, verliert das Fruchtsymbol vollends seine exotische Unbeschwertheit.
Mit diesen formgebenden Bananenakkumulationen hat Baumgärtel den Weg in Galerien, Ausstellungshäuser und Sammlungen genommen. Das heißt aber nicht, daß er deswegen seine Tätigkeit als ambulanter Kunstmarkierer aufgegeben hätte. Mutet das Wirkungsfeld der international konspirativen Kunstbanane auch grenzenlos an, so wird man angesichts der im Atelier entstandenen Bananenbilder den Verdacht nicht los, das größere Universum eröffne sich in der Endlichkeit der zweidimensionalen Bildfläche - eben zuhause. Beide künstlerischen Handlungsstränge werden gleichermaßen gespeist aus Zeit- und Kulturgeschichte, modelliert und zugeschliffen im Kontext der sich ständig in Wandlung befindlichen Zeitgenossenschaft, die eine medial vernetzte und erschlossene ist, geprüft von skeptischen Augen, die vornehmlich in jenen eigentümlichen Bezirken spazieren gehen, die von der Banane bezeichnet werden. Es hätte auch eine andere Frucht sein können.
Klaus Flemming, 1996